Grüne Logistik dank Elektromobilität: Interview mit BEM-Präsident Kurt Sigl

03. Feb­ru­ar 2020 / Inter­view erschienen auf ⇢ logistiker.blog
Der Bun­desver­band eMo­bil­ität (BEM) feierte im Mai 2019 sein 10-jähriges Jubiläum. In den Jahren seit sein­er Grün­dung hat der Fachver­band mit Sitz in Berlin das The­ma Elek­tro­mo­bil­ität poli­tisch angeschoben und die Akteure der Branche zusam­menge­bracht. Zu den Mit­gliedern zählen Branchen-Größen wie Tes­la, Mit­subishi, Kia, Bosch und ZF, genau­so Start-ups wie Clever Shut­tle, Sono Motors oder e.GO und Vertreter aus dem Energiebere­ich. Im Pkw-Seg­ment wächst die Mod­ell-Palette der Elek­tro­fahrzeuge beständig – nicht zulet­zt durch den Druck der EU auf die Her­steller, die CO2-Flot­ten­werte zu senken. Doch auch im Nutz­fahrzeug-Seg­ment kom­men immer mehr neue eMod­elle auf den Markt. Hier ste­ht vor allem der Verteil­erverkehr mit leisen und lokal emis­sions­freien Trans­portern und Leicht-Lkw im Fokus. Wir sprachen mit BEM-Präsi­dent Kurt Sigl über die Entwick­lung des Mark­tes für eFahrzeuge und die Poten­ziale für die grüne Logistik.
BEM fördert Elek­tro­mo­bil­ität seit 2009
Logistiker.blog: Herr Sigl, Sie haben zusam­men mit Chris­t­ian Heep und Frank Müller den BEM e.V. im Früh­jahr 2009 gegrün­det. Mit welchem Ziel sind Sie bei der Grün­dung angetreten?
Kurt Sigl, BEM-Präsi­dent: Anfang 2009 war ger­ade der »Nationale Entwick­lungs­plan eMo­bil­ität« der dama­li­gen Regierung veröf­fentlicht wor­den. Wir haben uns inten­siv mit dem 126 Seit­en umfassenden Doku­ment auseinan­derge­set­zt und fest­gestellt, dass die Umset­zung in die Prax­is wie dort beschrieben so nicht funk­tion­ieren würde. Uns war klar, dass wir eine Plat­tform benöti­gen, um die Play­er der noch jun­gen eMo­bil­i­ty-Branche zu ver­net­zen, die Leute zusam­men­zubrin­gen und aktiv für Elek­tro-Mobil­ität zu wer­ben. Das war unser Ziel und dieser Auf­gabe haben wir uns mit der Grün­dung des BEM angenommen.
Welche Aktio­nen und Pro­jek­te haben Sie mit dem BEM als Erstes angestoßen?
Wir woll­ten zeigen, dass eMo­bil­ität in der Prax­is funk­tion­iert. Wir haben in Berlin erste Ladesäulen instal­lieren lassen und auf die Möglichkeit­en hingewiesen, wie sich diese neue Infra­struk­tur für die zunehmende Anzahl an eBikes und Elek­tro-Roller nutzen lässt. Kurze Zeit nach Grün­dung unseres Ver­ban­des schlossen sich erste Pkw-Her­steller dem BEM an, ins­beson­dere aus­ländis­che Impor­teure wie Renault und Mit­subishi. Auch Tes­la ist im Übri­gen von Beginn an BEM-Mitglied.
Wie kon­nten Sie die Poli­tik und die Her­steller für die Elek­tro­mo­bil­ität gewinnen?
Das war ein län­ger­er Aufk­lärung­sprozess, der noch bis heute andauert. Wir haben zunächst die rel­e­van­ten drei Bun­desmin­is­te­rien für Verkehr, Umwelt und Wirtschaft besucht, um dort für die Mobil­itätswende zu wer­ben. Anfangs hat­te uns einzig das Bun­desumwelt­min­is­teri­um mit offe­nen Armen emp­fan­gen. Auch die Auto­mo­bil­her­steller haben uns – bis auf Tes­la – anfangs ignori­ert. Mit­tler­weile hat sich die Sit­u­a­tion zum Glück geändert.
Elek­tro­mo­bil­ität: Diesel-Krise und Paris­er Abkom­men als Beschleuniger
Was hat die Poli­tik und die Her­steller zum Umdenken bewogen – war es die Diesel-Krise?
So trau­rig es klingt: es war tat­säch­lich die Diesel-Affäre, die maßge­blich zum Umdenken geführt hat, wenn auch nicht bei allen Her­stellern im gle­ichen Maße. Auf poli­tis­ch­er Seite ist sicher­lich das Paris­er Abkom­men als Startsig­nal zu ver­ste­hen. Inzwis­chen gibt es ein Umwelt­paket und einen Mas­ter­plan Lade­in­fra­struk­tur als Leit­planken der Verkehrsre­form. Ein erster guter Schritt war die Förderung von Hybri­den. Inzwis­chen wer­den zunehmend auch reine Elek­tro­fahrzeuge von den Her­stellern gepusht.
Elek­tro­mo­bil­ität begin­nt, sich langsam durchzuset­zen. Wie sieht denn die Sit­u­a­tion bei Nutz­fahrzeu­gen – eTrans­portern und eLkw – aus?
Hier unter­schei­den Spedi­teure ganz klar zwis­chen der »let­zten Meile« und den restlichen Trans­portwe­gen. Ger­ade auf der let­zten Meile, also dem City-Verteil­erverkehr, ist ein riesiger Hand­lungs­be­darf ent­standen. Spedi­teure und KEP-Dien­stleis­ter ste­hen unter einem enor­men Druck, ihre Verkehre nach­haltiger zu gestal­ten. Hier haben Elek­tro-Nutz­fahrzeuge große Poten­ziale, die bei kleineren Trans­port­fahrzeu­gen zunehmend auch genutzt wer­den – Beispiele sind der Street Scoot­er oder der Nis­san eNV, der auch als Car­go-Ver­sion ver­füg­bar ist. Es ist der richtige Ansatz, bei Trans­portern und leicht­en Lkw bis 7,5 Ton­nen alles zu elek­tri­fizieren, was möglich ist. Auch schwere Lkw lassen sich elek­trisch betreiben und z.B. für Werkverkehre ein­set­zen – Her­steller wie FRAMO oder Orten sind gute Beispiele dafür. Bei schw­eren Lkw für den Fer­n­verkehr ist die Hybri­disierung eine Möglichkeit (Lkw mit Ver­bren­ner und Elek­tro­mo­tor, Anm. d. Red), oder die Umstel­lung auf Gas-Fahrzeuge. Die Wasser­stoff (H2)-Technologie ist im Schw­er­last­bere­ich dur­chaus inter­es­sant. Es dauert aber noch, bis diese serien­fähig umge­set­zt wer­den kann. In kleineren Dimen­sio­nen ist der H2-Ein­satz sin­nvoll, aber nur mit Erneuer­baren Energien als Primärenergie-Quelle.
In welchen Bere­ichen kann der BEM Spedi­teure und Nutz­fahrzeug-Her­steller unterstützen?
Wir bieten als BEM ein großes Net­zw­erk an Fir­men an, die bere­its in der Elek­tro­mo­bil­ität arbeit­en – denn der erste Schritt ist immer die Ver­net­zung. Beispiel­sweise kön­nen sich unsere Mit­glieder in der BEM-Arbeits­grup­pen »eMo­bil­ität und Anhänger« organ­isieren und engagieren. Hier sind bere­its Fir­men wie AL-KO, VW und ZF aktiv und auch das Bun­desverkehrsmin­is­teri­um beteiligt sich an Pro­jek­ten dieser Gruppe. Die Entwick­lung von Fahrzeugkonzepten und Koop­er­a­tio­nen gelingt nur in der Prax­is – und dafür bieten wir im BEM entsprechende Plat­tfor­men an. Die BEM-Arbeits­gruppe »Retro­fit« beschäftigt sich mit der Umrüs­tung von Bestands­fahrzeu­gen, z.B. Diesel­bussen oder Kom­mu­nal­fahrzeu­gen, auf Elek­troantrieb und bietet so Kom­munen und städtis­chen Trans­portun­ternehmen eine schnell ver­füg­bare und kostengün­stige Lösung bei der Umstel­lung auf eine nach­haltige Mobilität.
Lade­in­fra­struk­tur weit­er ausbauen
Wie schätzen Sie die bun­desweite Lade­in­fra­struk­tur für eFahrzeuge ein?
Das derzeit vorhan­dene Pkw-Lade-Netz ist im Moment aus­re­ichend, selb­st ent­lang der Auto­bah­nen – auch, weil im Moment noch rel­a­tiv wenige eAu­tos auf Langstreck­en verkehren und auf genü­gend Ladeka­paz­itäten zurück­greifen kön­nen. Bei der Erweiterung geht Tes­la mit gutem Beispiel voran und baut die Ladeka­paz­itäten bun­desweit zügig aus. Im Nutz­fahrzeug-Seg­ment herrschen andere tech­nis­che Voraus­set­zun­gen – hier müssen par­al­lel zur Fahrzeu­gen­twick­lung auch die Logis­tikprozesse und Lade-Szenar­ien auf den Werks­gelän­den miten­twick­elt und ‑geplant wer­den. Auch hier gibt es bere­its genü­gend Pro­jek­te, in die wir als BEM einge­bun­den sind, die zeigen, dass der Praxi­sein­satz funk­tion­iert. Ger­ade auf der »let­zten Meile« brauchen wir nun schnell umset­zbare Lösun­gen für den Realbetrieb.
Welchen Forderungskat­a­log stellen Sie derzeit an die Politik?
Das Wichtig­ste ist derzeit die Änderung des Wohn- und Mieteigen­tum­srechts, damit die beste­hen­den Hand­i­caps für Mieter, die zuhause ihre eFahrzeuge laden wollen, beseit­igt wer­den. Zudem wollen wir wis­sen, wann die bere­its ver­sproch­ene Erhöhung der BAFA-Förderung von Elek­troau­tos von 6.000 Euro kommt – denn nicht nur End­kun­den, die einen eAu­to-Kauf entsprechend ver­schieben, son­dern auch die Auto­händler haben fest damit gerech­net. Zudem set­zen wir uns weit­er­hin für den rascheren Aus­bau der Lade­in­fra­struk­tur ein. Die Autoin­dus­trie ist auf das Netz angewiesen; sie kann die vorgeschriebene Reduk­tion ihrer CO2-Flot­ten­werte ohne eine zunehmende Anzahl an Elek­tro-Mod­ellen gar nicht erre­ichen – und dieser Markt funk­tion­iert nur mit ein­er mitwach­senden Lade­in­fra­struk­tur. Den­noch sind wir vom BEM opti­mistisch. Der Knoten hat sich gelöst und neben vie­len verän­dern­den Rah­menbe­din­gun­gen ent­deck­en zahlre­iche Kun­den ihre Begeis­terung für die neue Antrieb­sart, das ist eigentlich der beste Weg in den neuen Markt.
⇢ Das Inter­view find­en Sie hier

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