Deutschland hat die Elektromobilität verschlafen

März 2017 / Artikel erschienen in traf­fic 01/2017 — Sonderheft

Gastkom­men­tar von Kurt Sigl, Präsi­dent Bun­desver­band eMo­bil­ität e.V.
Gesagt wird es häu­fig: Der Elek­tro­mo­bil­ität gehört die Zukun­ft. Getan wird hinge­gen noch immer viel zu wenig. Elek­troau­tos sind weit­er­hin kaum präsent auf deutschen Straßen. Wir müssen uns ern­sthaft fra­gen, was Län­der wie beispiel­sweise Nor­we­gen anders machen und von deren Vor­bild ler­nen. Denn von Mark­tan­teilen von fast 30 Prozent bei der Neuwa­gen­zu­las­sung kön­nen wir hierzu­lande nur träu­men. Den zahlre­ichen Ankündi­gun­gen der ver­gan­genen acht Jahre seit­ens der Poli­tik, aber auch der Energiev­er­sorg­er und ins­beson­dere der Auto­mo­bil­her­steller sind lei­der nur sel­ten auch wirk­lich nach­haltig Tat­en gefolgt.
Der fehlende Wille der deutschen Autoin­dus­trie, sich auf eine neue Tech­nolo­gie, wie die Elek­tro­mo­bil­ität, wirk­lich einzu­lassen und das hart­näck­ige Fes­thal­ten an Alt­bekan­ntem haben die Entwick­lung in Deutsch­land wesentlich aus­ge­bremst. So hart es für eine Auto­mo­bil­na­tion wie Deutsch­land auch klin­gen mag: Die deutschen Auto­mo­bil­her­steller haben den Tech­nolo­giewan­del ver­schlafen. Eine Erken­nt­nis, die mit­tler­weile auch in den Führungsriegen der Her­steller angekom­men ist. Ein Grund mehr, warum dort noch ein­mal zusät­zlich auf die Bremse getreten wird, um die Entwick­lung weit­er zu verzögern und Zeit zu gewin­nen, um am Ende vielle­icht doch noch mit­spie­len zu kön­nen. Ob diese Strate­gie aufge­hen wird, ist fraglich bis unwahrscheinlich.
Und auch seit­ens der Poli­tik ist eine wirk­liche Vor­re­it­er-Rolle im Bere­ich Elek­tro­mo­bil­ität nicht zu erken­nen. So fordern wir bere­its seit drei Jahren eine sicht­bare Anschaf­fung von Elek­tro­fahrzeu­gen in den Fuhrparks und Flot­ten der öffentlichen Hand. Bis dato sieht die Bilanz sehr mager aus. Gegen­wär­tig sind in Deutsch­land etwa drei Mil­lio­nen Fahrzeuge in öffentlichen Flot­ten und Fuhrparks unter­wegs, das Beschaf­fungsvol­u­men liegt Schätzun­gen zufolge bei mehr als 350 Mil­liar­den Euro im Jahr. Spiel­raum, der im Sinne ein­er von der Poli­tik angestrebten Verkehr­swende sehr viel bess­er aus­genutzt wer­den sollte.
In Deutsch­land kommt der Auf­bau ein­er flächen­deck­enden Infra­struk­tur an öffentlichen Ladesta­tio­nen zwar voran, aber nur langsam. Experten [1] sehen bis zum Jahr 2020 einen Bedarf an 70.000 öffentlichen Ladepunk­ten zur Nor­mal­ladung und 7.100 Schnel­l­ladepunk­ten. Mitte 2016 gab es bun­desweit jedoch ger­ade ein­mal rund 6.500 Ladepunk­te, darunter 230 Schnel­l­ladepunk­te. Auch wenn der klas­sis­che Elek­troau­to-Käufer primär in der heimis­chen Garage des Eigen­heims lädt, haben solche Zahlen natür­lich abschreck­ende Wirkung auf poten­tiell Inter­essierte. Viel ver­heeren­der ist aber der fehlende Weit­blick vie­lenorts. Wie kann etwa die neuge­baute Elbphil­har­monie in Ham­burg nicht über Lademöglichkeit­en für Elek­tro­fahrzeuge in ihrer Tief­garage ver­fü­gen? Ein solch­es Ver­säum­nis macht mich ehrlich gesagt sprachlos.
Ein­er aktuellen Studie [2] zufolge sollte die Reich­weite von Elek­troau­tos bei min­destens 301 bis 500 Kilo­me­tern liegen. Ab diesem Wert steigt die geäußerte Kauf­bere­itschaft bei den Befragten auf über 70 Prozent. Vie­len Ver­brauch­ern ist allerd­ings offen­sichtlich noch nicht bewusst, dass bere­its eine Rei­he von Mod­ellen diese Anforderung erfüllt. Ein ein­deutiges Indiz dafür, dass der Erfolg der Neuen Mobil­ität vor allem mit der richti­gen Kom­mu­nika­tion­sstrate­gie zu tun hat. Entsprechend hoch sind dies­bezüglich die Anforderun­gen an die Auto­mo­bil­her­steller. Hier ist aktuell noch sehr viel Luft nach oben.
Der Kauf von Elek­troau­tos in Deutsch­land wird seit Juli 2016 gefördert – ein wichtiger Anreiz, um das The­ma Elek­tro­mo­bil­ität zum Rollen zu brin­gen – aber die Ein­führung wurde zu einem denkbar ungün­sti­gen Zeit­punkt gewählt. Mit­ten in der Urlaub­szeit wer­den grund­sät­zlich weniger Fahrzeuge verkauft. Wir rech­nen damit, dass sich die Förderung im Früh­jahr in den Verkauf­szahlen deut­lich bemerk­bar machen wird. Die Auto­her­steller geben zur staatlichen Prämie selb­st beim Verkauf eines Elek­troau­tos noch einen Teil dazu – damit liegen wir heute bei 5.000 bis 6.000 Euro Förderung. Die Impor­teure bieten vor dem Hin­ter­grund Elek­troau­tos an, die im Preis ver­gle­ich­bar mit Ver­bren­nern sind – teil­weise sog­ar gün­stiger. Bei den deutschen Mod­ellen sieht das allerd­ings preis­lich etwas anders aus. Trotz­dem sehe ich den Haupt­grund der schlecht­en Verkauf­szahlen nicht im Kauf­preis. Vielmehr haben die Verkäufer eine abschreck­ende Wirkung auf poten­tielle Elek­troau­to-Käufer. Wir haben das mehrfach getestet. Wenn Sie aktuell in ein Auto­haus gehen und expliz­it nach einem Elek­troau­to fra­gen, wer­den Sie erschrock­en angeschaut. Ein Elek­troau­to? Warum wollen Sie sich das denn antun?! Und im näch­sten Atemzug haben Sie das Ange­bot eines Ver­bren­ners inklu­sive sat­tem Rabatt in der Hand. So verkauft sich natür­lich auch das Elek­troau­to zum wet­tbe­werb­s­fähi­gen Preis nicht.
Im Zuge des Diesel-Skan­dals ist eines jedoch offen­sichtlich gewor­den: Die Ver­bren­ner-Tech­nolo­gie ist an ihre Gren­ze gestoßen — ein Tech­nolo­giewan­del ist damit unumgänglich. Die anspruchsvollen CO2-Stan­dards der Europäis­chen Union sind mit der Tech­nolo­gie von gestern nicht einzuhal­ten. Wer die Gren­zw­erte nicht ein­hält, muss aktuell pro Gramm Kohlen­diox­id Über­schre­itung pro Fahrzeug 95 Euro Strafe zahlen. Im Jahr 2021 sind 95 Gramm pro Kilo­me­ter vorge­se­hen. Für das Jahr 2025 sind 70 oder gar 50 Gramm im Gespräch. Für die Auto­her­steller wird der Bau von Elek­troau­tos vor dem Hin­ter­grund kostengün­stiger, als der fort­ge­set­zte Ver­such, den Ver­bren­nungsmo­tor zu optimieren.
Grund genug für mich und meine Kol­le­gen beim BEM, vor­sichtig opti­mistisch in das Jahr 2017 zu blick­en. Die Entwick­lun­gen lassen hof­fen, dass tat­säch­lich langsam ein Umdenken stat­tfind­et – in Rich­tung ein­er zunehmenden Elek­tri­fizierung, die weit über das Engage­ment der rel­e­van­ten Akteure der ver­gan­genen Jahre hin­aus­ge­ht. Unsere inno­v­a­tiv­en Mit­glied­sun­ternehmen machen vor, wie es funk­tion­ieren kann. Es wird Zeit, sich diesen Beispie­len anzuschließen.
Quellen: [1] BDEW, Weit­ere Infor­ma­tio­nen zur Lade­in­fra­struk­tur in Deutsch­land: ⇢ www.bdew.de
[2] Ergeb­nisse des Reports »E‑Mobility – vom Ladenhüter zum Erfol­gsmod­ell« des inter­na­tionalen Mark­t­forsch­ers YouGov in Zusam­me­nar­beit mit dem Cen­ter of Auto­mo­tive Man­age­ment (CAM)

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