Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft

Zitat Wil­helm von Hum­boldt (1767 — 1835), von David Nanni
Als Wil­helm von Hum­boldt im Jahr 1789 zu ein­er Bil­dungsreise nach Paris auf­bricht, ahnt er bere­its, dass er Augen­zeuge rev­o­lu­tionär­er Verän­derun­gen wer­den wird. Nur wenige Wochen zuvor fand der Sturm auf die Bastille durch das franzö­sis­che Volk statt. Doch was verbindet uns heute mit Hum­boldts Paris des enden­den 18ten Jahrhun­derts? Es ist nicht weniger, als die elek­trische Rev­o­lu­tion der auto­mo­bilen Massen, deren Augen­zeuge und Gestal­ter wir ger­ade wer­den. Doch der Rei­he nach.
Genau 110 Jahre später, am 29. April 1899, wird Paris erneut zum Schau­platz ein­er kleinen Rev­o­lu­tion. Camille Jenatzy, bel­gis­ch­er Ren­n­fahrer und Taxi-Unternehmer, durch­bricht mit seinem zigar­ren­för­mi­gen Gefährt »La Jamais Con­tente« erst­mals die Reko­rd­marke von 100 km/h — und zwar in einem Elek­tro­mo­bil. Ein Jahr später, am 14. April 1900, öffnet die Weltausstel­lung in Paris ihre Pforten. Dem staunen­den Pub­likum präsen­tiert die Fir­ma k.u.k.-Hofwagen-Fabrik Jakob Lohn­er & Co. aus Wien, später bess­er bekan­nt durch ihren damals erst 25-jähri­gen Cheftech­niker Fer­di­nand Porsche, ein durch zwei Radnaben­mo­toren angetriebenes Elek­tro­fahrzeug. Im sel­ben Jahr wird auf Basis dieses Fahrzeugs das erste all­radan­getriebene Fahrzeug der Welt entwick­elt. Der Lohn­er-Porsche, wie er auch genan­nt wird, ver­fügt in der Ren­nver­sion bere­its über vier Radnaben­mo­toren mit je 2,5 PS Leis­tung. Der Vor­läufer mod­ern­er Radnaben­boli­den, wie zum Beispiel des Light­ning GT, ist geboren. Fer­di­nand Porsche über­führt den Wagen, der eigens für den pas­sion­ierten Hob­byren­n­fahrer E.W. Hart aus Eng­land gebaut wurde, übri­gens höchst per­sön­lich nach Luton, nördlich von London.
Die Ehre, das erste eAu­to erfun­den zu haben, gebührt jedoch einem Fran­zosen. Der Physik­er M. Gus­tave Trou­vé stellte bere­its 1881 auf der Expo­si­tion d’Electricité sein dreirä­driges Gefährt vor, das mit sechs Blei-Akkus und zwei Elek­tro­mo­toren bestückt war und eine Geschwindigkeit von 12 km/h erre­ichte. Also gut vier Jahre bevor Daim­ler und May­bach ihren ben­zingetriebe­nen Reit­wa­gen, und fünf Jahre bevor Karl Benz seinen »Patent­mo­tor­wa­gen« mit Ver­bren­nungsmo­tor vorstell­ten. Möglich war das durch die Tat­sache, dass im Jahre 1880 der Blei-Akku Serien­reife erlangte und somit indus­triell her­stell­bar war. An dieser Stelle zeigt uns die Geschichte bere­its, dass die Entwick­lung des Elek­tro­mo­bils nicht los­gelöst von der Entwick­lung der Bat­teri­etech­nolo­gie betra­chtet wer­den kann. Wed­er damals noch heute und erst recht nicht in Zukunft.
Der Ital­iener Alessan­dro Giuseppe Anto­nio Anas­ta­sio Vol­ta erfind­et um das Jahr 1800 die erste Bat­terie der Welt, die später als soge­nan­nte Volta’sche Säule Einzug in die Lehrbüch­er hal­ten wird. Durch übere­inan­der gestapelte Zink- und Kupfer­plat­ten, die durch in Sal­zlö­sung getränk­te Pappe voneinan­der getren­nt waren, liefert dieses elek­tro­chemis­che Kraftwerk den ersten Strom aus ein­er Bat­teriequelle. Im Jahre 1801 spielt dann auch diese Erfind­ung wieder vor franzö­sis­ch­er Kulisse eine Haup­trol­le. Vol­ta reist, wie Jahre vor ihm Wil­helm von Hum­boldt, nach Paris und stellt Napoleon Bonarparte seine Erfind­ung vor. Hier­für wird er vom Insti­tute de France mit der Ehren­medaille in Gold aus­geze­ich­net und erhält zudem von Napoleon eine üppige Pen­sion. Was danach in Bezug auf die Weit­er­en­twick­lung der Bat­teri­etech­nik fol­gt, geschieht allerd­ings eher nach dem Prinzip Evo­lu­tion statt Rev­o­lu­tion. Und die Evo­lu­tion hat eines im Über­fluss: Zeit! Über viele Entwick­lungsstufen der let­zten 200 Jahre hin­weg müssen wir heute fest­stellen, dass auch die aktuell­ste Bat­teri­etech­nik in der Prax­is weniger als 1/100 der Energiedichte (gemessen in Wh/kg) fos­siler Brennstoffe wie Ben­zin oder Diesel besitzt. Diese Erken­nt­nis schlägt sich zwangsläu­fig in ein­er Reich­weit­en­be­gren­zung nieder, von der Experten sagen, dass diese im Durch­schnitt bei 200 km, bei zugrunde gelegten 150 Wh/kg, liegen wird. Für einen Großteil der Fahrstreck­en im All­t­ag ist dieser Wert jedoch völ­lig aus­re­ichend und daher massen­mark­t­tauglich — ein entschei­den­der Fak­tor, um zukün­ftig die Her­stel­lkosten der Bat­te­rien zu senken.
Wirft man einen Blick auf einige der heuti­gen Geschäftsmod­elle ent­lang der Wertschöp­fungs­kette elek­trisch­er Mobil­ität, so weck­en diese bei genauer­er Betra­ch­tungsweise Erin­nerun­gen an bere­its Dagewe­senes. Nimmt man nur zum Beispiel das Wech­sel-Akku-Konzept von BETTER PLACE Grün­der Shai Agas­si, so haben bere­its Erfind­er im 19. Jahrhun­dert mit Wech­sel-Deich­seln an Kutschen exper­i­men­tiert. Für die Kurzstrecke gab es eine Ver­sion mit Elek­troantrieb, für die län­geren Über­land­fahrten stand eine ben­zingetriebene Vari­ante zur Ver­fü­gung. Der Umbau soll dabei eben­falls nur wenige Minuten gedauert haben.
Zugegeben, auch wenn dieser Ver­gle­ich etwas hinkt, so sind es im Kern doch die sel­ben Erfol­gs­fak­toren geblieben — damals wie heute — die auch darüber entschei­den, wie wir uns zukün­ftig von A nach B bewe­gen wer­den: Reich­weite, All­t­agsnutzen, Kosten und Infra­struk­tur stellen, zusam­men mit einem mod­er­nen Umweltver­ständ­nis, die Leit­planken dar. Poli­tis­ch­er und insti­tu­tioneller Wille, sowie die nicht zu unter­schätzende, plöt­zlich auftre­tende Nach­frage-Dynamik in mod­er­nen Märk­ten, wer­den mit über die Geschwindigkeit entschei­den, mit der wir diesen Weg zurücklegen.
Den Fokus bei der Erschließung der elek­tro­mo­bilen Massen­märk­te auf Flot­tenkun­den zu leg­en, klingt vor dem his­torischen Hin­ter­grund, dass die Mehrheit der Tax­en in New York und Paris um das Jahr 1900 schon ein­mal elek­trisch fuhren, kon­se­quent und fol­gerichtig. Sog­ar Busse und Liefer­fahrzeuge waren soweit all­t­agstauglich elek­tri­fiziert, dass zu jen­er Zeit bere­its eine große Anzahl von Gütern und Per­so­n­en zuver­läs­sig befördert wer­den kon­nte. Um kün­ftig jedoch bre­ite Bevölkerungss­chicht­en zu erre­ichen, muss das Erleb­nis von Elek­tro­mo­bil­iät flächen­deck­end, sozusagen als emo­tionale »Selb­st-Erfahrung« und als ziel­grup­pen­spez­i­fis­ches Ange­bot zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Sei es der Elek­tro­mi­et­wa­gen für den mod­er­nen Geschäft­sreisenden, das Car­shar­ing-Ange­bot in der Großs­tadt oder die Elek­tro-Enduro für den Hob­by Moto Cross­er, der am Woch­enende auf der Rennstrecke Aus­gle­ich zum All­t­ag sucht: Allen ist gemein­sam, dass sie als Mul­ti­p­lika­toren und Botschafter der elek­trischen Idee fungieren wer­den. Ihre Begeis­terung teilen sie in sozialen Net­zw­erken und weck­en Inter­esse durch per­sön­liche Empfehlung.
So bleibt es span­nend zu beobacht­en, welche Auto­mo­bile es in Zukun­ft schaf­fen, in Comics oder Com­put­er­spie­len verewigt zu wer­den. Das meistverkaufte Elek­troau­to der Welt, der Detroit Elec­tric, hat es schon geschafft und wurde dabei von nie­mand gerin­gerem als Oma Duck aus Enten­hausen gefahren. Manch­mal hat man eben schon in Kinderta­gen die Zukun­ft vor Augen und erken­nt die wahre Bedeu­tung doch erst Jahre später.
David Nanni
david@nanni.de
www.nanni.de

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