Taten statt Leuchttürme

Deutsch­land hinkt bei der Elek­tro­mo­bil­ität den eige­nen Ansprüchen hin­ter­her. Die Autoin­dus­trie nimmt die Poli­tik in die Pflicht, doch die bleibt vage. Im Autoland Deutsch­land wird zu viel geforscht und zu wenig getan, mah­nt Kurt Sigl, Präsi­dent des Bun­desver­bands eMobilität.
Am Anfang stand die Mil­lion. So viele Elek­troau­tos sollen — geht es nach dem Willen der Bun­desregierung – bis 2020 in Deutsch­land zuge­lassen sein. Auch auf der diesjähri­gen Nationalen Kon­ferenz Elek­tro­mo­bil­ität Mitte Juni kreiste die Diskus­sion um diese Zahl, allerd­ings mit jed­er Menge Fragezeichen.
»Das ist defin­i­tiv nicht erre­ich­bar«, sagt Fer­di­nand Duden­höf­fer, Leit­er des Cen­ter Auto­mo­tive Research an der Uni­ver­sität Duis­burg-Essen. »Der oft angekündigte Mark­thochlauf hat sich ins Gegen­teil gewan­delt«, so der Auto­ex­perte mit Blick auf die aktuellen Zulas­sungszahlen: Danach seien von Jan­u­ar bis April dieses Jahres 2665 rein elek­trische Autos in Deutsch­land zuge­lassen wor­den — ganze 221 mehr als im Vor­jahreszeitraum. Inklu­sive Hybrid­mod­ellen, die stillschweigend in die deutsche Elek­tro­mo­bil­ität­skalku­la­tion ein­gerech­net wer­den, waren zu Jahres­be­ginn laut Kraft­fahrt­bun­de­samt hierzu­lande über 120.000 eAu­tos zuge­lassen. Das entspricht weniger als 0,3 % des gesamten Fahrzeugbestands.
»Angesichts dieser Zahlen ste­ht die Elek­tro­mo­bil­ität vor einem Desaster«, so Duden­höf­fer. Also Krisen­man­age­ment statt Euphorie auf der Berlin­er Kon­ferenz? Wed­er noch. Die Kan­z­lerin ver­mied konkrete Zusagen. »Wir wer­den um eine weit­erge­hende Förderung nicht herumkom­men, obwohl wir schon einiges getan haben«, so vage ließ Angela Merkel die 1.500 Zuhör­er zurück. Man werde die steuer­lichen Maß­nah­men noch ein­mal studieren.
Doch das reicht Kurt Sigl bei Weit­em nicht. »Wenn Deutsch­land nicht in die Pötte kommt, riskieren wir den Auto­mo­bil­stan­dort Deutsch­land — wir sind kurz davor«, so deut­lich charak­ter­isiert der Präsi­dent des Bun­desver­bands eMo­bil­ität (BEM) die aktuelle Sit­u­a­tion im Gespräch mit den VDI nachrichten.
Sein­er Mei­n­ung nach hat die Auto­mo­bilin­dus­trie mit mit­tler­weile 17 rein elek­trischen Mod­ellen ihre Hausauf­gaben gemacht — tech­nisch sei Deutsch­land Lei­tan­bi­eter. Vom Leit­markt dage­gen sei man noch meilen­weit ent­fer­nt. »Die Poli­tik hat es nicht kapiert«, wet­tert Sigl. För­der­maß­nah­men grif­f­en zu kurz, Berater der Bun­desregierung agierten gezwun­gener­maßen im Spar­modus. Man könne die Elek­tro­mo­bil­ität »nicht Men­schen über­lassen, die das neben­bei im Ehre­namt tun«, meint Sigl. »Das wäre, als wenn die Kan­z­lerin bei Siemens arbeit­et und neben­her Bun­deskan­z­lerin ist.«
Bei ver­meintlich banalen Din­gen hätte die Poli­tik ihre Hausauf­gaben nicht gemacht. Bestes Beispiel: Das eMo­bil­itäts­ge­setz, nach dem u. a. freigegebene Busspuren eMo­bilkäufer lock­en sollen. Für Sigl ein Witz. »In Berlin wer­den die Busspuren vom Liefer­verkehr block­iert. Dort Elek­troau­tos draufzu­lassen, führt zu einem kom­plet­ten Chaos.« In Städten wie München gäbe es nur 1,6 km davon. »Was soll das bringen?«
Man habe ver­säumt sich um viele »banale The­men« zu küm­mern, attestiert Sigl. So sei das Laden beim Arbeit­ge­ber immer noch mit einem »geld­w­erten Vorteil« ver­bun­den. Beim Auf­bau ein­er Lade­in­fra­struk­tur im öffentlichen Raum gebe es mehr bürokratis­che Hür­den als Kosten. Das nationale Roam­ing von einem Stro­man­bi­eter zum näch­sten sei immer noch nicht gelöst.
Schützen­hil­fe erhält Sigl dabei von führen­den Köpfen der Auto­mo­bilin­dus­trie. »Der freie Park­platz in der Innen­stadt für Elek­troau­tos alleine wird es nicht richt­en«, betonte Audi-Chef Rupert Stadler diese Woche in einem Inter­view. Konz­ernchef Mar­tin Win­terko­rn geht noch einen Schritt weit­er: Zwar sei es nicht »Auf­gabe und Geschäftsmod­ell der Auto­mo­bilin­dus­trie, Ladesäulen aufzubauen«, den­noch will Win­terko­rn seinen Mitar­beit­ern 12 000 Strom­tankstellen auf Fir­men­park­plätzen bere­it­stellen. Er verknüpft dieses Vorhaben mit der Forderung, dass die steuer­liche Ein­stu­fung des Ladens am Arbeit­splatz als geld­w­ert­er Vorteil weg­falle. Die Poli­tik müsste den rechtlichen Rah­men für die Stromab­gabe an Mitar­beit­er möglich machen.
»Damit hat er genau den wun­den Punkt getrof­fen«, pflichtet ihm Sigl bei. Doch das sei nur eine von vie­len Schwach­stellen. »Wir in Deutsch­land reduzieren das The­ma eMo­bil­ität immer nur aufs Auto«, moniert er. »Das ist ein kom­plett verkehrter Ansatz.« Die Elek­tri­fizierung von Zweirädern und des öffentlichen Per­so­nen­nahverkehr kämen hierzu­lande viel zu kurz.
Und: »Forschung alleine bringt uns nicht weit­er«, sagt der BEM-Präsi­dent. Von der Inthro­ni­sa­tion von sieben neuen Leucht­turm­pro­jek­ten hält er wenig und schüt­telt hör­bar den Kopf: »Flot­ten­ver­suche, Leicht­bau, Motoren mit inte­gri­ert­er Leis­tungse­lek­tron­ik — das ist alles nichts Neues — das geht am The­ma vorbei.«
Vielmehr müsse es jet­zt um die Schaf­fung von Mark­tan­reizen gehen. Hol­land hat es nach Ansicht von Sigl in »benei­denswert­er Weise« vorgemacht. Dort habe man beschlossen, eine Infra­struk­tur aufzubauen, und ein halbes Jahr später hätte sie ges­tanden. »In Deutsch­land erforschen wir noch die Ladeinfrastruktur.«
Als größtes Ver­säum­nis der let­zten Jahre wertet Sigl die fehlende Akku-Strate­gie. »Bei den Zellen ist der Zug schon abge­fahren.« Die müsse man aus Asien und den USA beziehen. »Wenn wir es jet­zt nicht hinkriegen, eine Akku-Pro­duk­tion aufzubauen, dann geht auch dieses wichtige strate­gis­che Feld verloren.«
Die Hoff­nun­gen der Branche ruhen zurzeit auf Ankündi­gun­gen aus dem Hause Bosch. Und auf Unter­stützung aus den USA. »Vielle­icht baut ja auch Elon Musk in Deutsch­land eine Gigafac­to­ry für Lithi­um-Ionen-Bat­te­rien auf«, so Sigl zynisch. Der Tes­la-Grün­der rede nicht lange, er tue ein­fach etwas. Und das ver­bun­den mit langfristi­gen Visio­nen. Längst hat Musk seinen Akkus die Chance auf ein zweites Leben eröffnet. Hierzu­lande sollen sie in Koop­er­a­tion mit dem Ökostro­man­bi­eter Licht­blick als Spe­ich­er im Haus dienen.
Ein Beispiel, das in Sigls Augen zeigt, was passieren muss, wenn Deutsch­land in Sachen Elek­tro­mo­bil­ität noch ein Wörtchen mitre­den möchte. »Das Wichtig­ste ist doch, die Play­er zusam­men­brin­gen.« Oder in Win­terko­rns Worten: »Es spricht aus mein­er Sicht viel für eine Investi­tion­spart­ner­schaft von Poli­tik und Indus­trie.« Die Zeit für Tat­en statt Leucht­türme im Autoland Deutsch­land scheint gekommen.
Autor: Regine Bönsch
Quelle: ⇢ VDI Nachrichten

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