BEM-Pressehinweis: Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

18. Juni 2020
Mit dem Kon­junk­tur­paket will die Bun­desregierung auch Busse und Bah­nen aus der Coro­n­akrise ret­ten und sie damit als Alter­na­tive zum Auto stärken. Prof. Dr. Andreas Knie vom WZB und gle­ichzeit­ig Wis­senschaftlich­er Beirat des Bun­desver­bands eMo­bil­ität (BEM) sieht den öffentlichen Verkehr in sein­er jet­zi­gen Form nicht gewapp­net für die Zukun­ft. In einem Gast­beitrag für Spiegel-Online fordert Knie ein radikales Umdenken.
»Die Coro­na-Pan­demie hat für den öffentlichen Nahverkehr gravierende Fol­gen. Unternehmen verze­ich­nen Fahrgastver­luste von mehr als 80 Prozent. Nun soll ein Schutzschirm über Busse und Bah­nen ges­pan­nt wer­den, der Bund stellt den Län­dern im Kon­junk­tur­paket rund 2,5 Mil­liar­den Euro zum Aus­gle­ich von Betrieb­sver­lus­ten bere­it. Für die Bahn gibt es sechs Mil­liar­den Euro frisches Eigenkapital.
Das klingt wun­der­bar. Doch wird wom­öglich das Falsche gerettet?
Angesichts von Staus, Stress und steigen­den CO2-Emis­sio­nen rufen viele Fach­leute und Poli­tik­er nach ein­er Verkehr­swende. Die Dom­i­nanz des pri­vat­en Autos soll zurück­ge­fahren, Busse und Bah­nen attrak­tiv­er wer­den. Diese Forderun­gen ste­hen seit Jahrzehn­ten auf der Agen­da, doch in den ver­gan­genen Jahren hat der Staat tat­säch­lich zusät­zliche Mil­liar­den­sum­men in den öffentlichen Verkehr gesteckt, Fahrzeuge angeschafft, Strecken­net­ze erweitert.
Doch Busse und Bah­nen haben ihre Anteile am Verkehrs­markt seit vie­len Jahren nicht wirk­lich steigern kön­nen. Der Fer­n­verkehr ver­har­rt bei rund acht Prozent und der ÖPNV bleibt sta­bil unter zehn Prozent. Der öffentliche Verkehr wurde nur dort ver­mehrt genutzt, wo die Städte wuch­sen. In kleineren Kom­munen gehen die Fahrgastzahlen sog­ar zurück. Auf dem Land sind mehr als 90 Prozent der Fahrgäste Schüler und Auszubildende.
Rüge vom Rechnungshof
In der ver­gan­genen Woche sah sich der Europäis­che Rech­nung­shof genötigt, die bish­eri­gen Förder­strate­gie für den öffentlichen Verkehr ger­ade auch in Deutsch­land zu rügen. Mit klaren Worten drück­te die Behörde aus, was offen­sichtlich ist: Es hat alles nichts gebracht, die Zahl der zuge­lasse­nen Autos steigt jedes Jahr um bis zu drei Prozent.
Mehr vom Gle­ichen scheint beim öffentlichen Verkehr nicht zu helfen. Selb­st in Berlin, der Stadt mit einem sehr guten ÖPNV wer­den nur 28 Prozent der täglichen Wege mit Bussen und Bah­nen unternommen.
Dabei sind sich so gut wie alle einig. Die Zukun­ft der Mobil­ität kommt nicht ohne einen leis­tungs­fähi­gen Verkehr mit Bussen und Bah­nen aus. Großge­fäße, die viele Men­schen sehr effizient trans­portieren, sind für einen flüs­si­gen Verkehr in den Bal­lungsräu­men unerlässlich.
Doch jet­zt kommt die Pan­demie und deckt die Schwächen des ÖPNV gnaden­los auf. Wer die Wahl hat, favorisiert plöt­zlich doch wieder das Auto oder nutzt das Fahrrad, die Stammkun­den zögern. Das Virus lässt indi­vidu­ellere Verkehrsmit­tel auf ein­mal deut­lich attrak­tiv­er erscheinen.
ÖPNV — die zweitbeste Wahl
Das alles zeigt: Für viele Men­schen ist der aktuelle ÖPNV im Zweifel verzicht­bar oder die zweitbeste Wahl. Als Rück­grat für die Verkehr­swende taugt er deshalb lei­der nicht.
Busse und Bah­nen waren wun­der­bare Dinge – vor der Erfind­ung des Autos. Außer­halb der großen Städte ist und bleibt der ÖPNV ein Ange­bot für die, die sich kein eigenes Fahrzeug leis­ten oder aus anderen Grün­den nicht nutzen kön­nen. Ein ungeliebtes Kind der Auto­ge­sellschaft, dem kein­er wirk­lich mit Herzblut begegnet.
Busse und Bah­nen wer­den in der deutschen Tra­di­tion der Daseinsvor­sorge zwar mit beträchtlichem Aufwand betrieben, aber eben nur bere­it­gestellt. Kun­den kom­men in dieser Welt nicht vor, die öffentlichen Mit­tel fließen, egal wie viel Men­schen den Dienst tat­säch­lich in Anspruch nehmen. Kein­er der Chefs der großen Nahverkehrsun­ternehmen, der selb­st nicht Dienst­wa­gen und pri­vates Auto nutzt.
Der Kick zum Umdenken fehlt
Statt des drin­gend benötigten Wan­dels hin zu einem dig­i­tal ver­net­zten Ange­bot ist Stück­w­erk zu besichti­gen. Immer­hin, die Ham­burg­er Hochbahn ver­sucht es mit “Switch”, die BVG mit “Jel­bi”, doch kaum ein­er ken­nt oder nutzt diesen Ser­vice. Die Deutsche Bahn dro­ht, das erfol­gre­iche Ange­bot Clever­Shut­tle einzustellen.
Der Ver­band der Verkehrsun­ternehmen (VDV) ist seit mehr als zehn Jahren dabei, eine App für alle Ange­bote zu real­isieren und scheit­ert immer wieder am fehlen­den Ver­ständ­nis darüber, warum man das über­haupt braucht. Der Betrieb­sablauf wird dadurch nur gestört. Die Vertei­di­ger dieses Elends war­nen bei jedem neuen Ver­leih- oder Poolin­gange­bot vor ange­blich­er Kan­ni­bal­isierung, es kön­nte eine Bus­fahrt erset­zt werden.
Dabei ist alles für einen Wan­del vorhan­den: Die Dig­i­tal­isierung ermöglicht über­all in Deutsch­land Tür-zu-Tür-Verbindun­gen ohne Pri­vatau­tos. Ein Klick aufs Smart­phone und schon kön­nte ein Fahrzeug jeman­den abholen und über­all hin­brin­gen. Das Fahrzeug kann ein Auto sein, ein Fahrrad, ein Tretroller oder eben auch Busse und Bah­nen — gemein­sam, ver­net­zt und dig­i­tal zu ein­er einzi­gen Dien­stleis­tung verschmolzen.
Doch dazu müsste die Organ­i­sa­tion von Bussen und Bah­nen völ­lig neu gedacht wer­den. Echter Kun­den­nutzen erset­zt die Logik der Bere­it­stel­lung und orchestri­ert das Gesam­tange­bot zu einem einzi­gen Kunst­werk, in dem nie­mand mehr ein pri­vates Auto braucht. Die Mil­liar­den des Kon­junk­tur­pro­gramms kön­nten daher für einen völ­lig neuen ÖV wun­der­bar angelegt wer­den und soll­ten nicht zur Kon­servierung des Beste­hen­den führen.
Min­is­ter öffnet Tür für dig­i­tale Angebote
Zum Glück kommt frisch­er Wind auf. Aus­gerech­net das Bun­desverkehrsmin­is­teri­um unter CSU-Mann Andreas Scheuer beschließt in dieser Woche Grundzüge ein­er Nov­el­le für das Gesetz, das im öffentlichen Verkehr alles regelt und hin­ter die sich jed­er beim Nicht­stun bish­er ver­steckt hat: Das Personenbeförderungsgesetz.
Dig­i­tale Ange­bote sollen erst­mals zuge­lassen wer­den — es ist so, als ob nun Farbfernse­hen erlaubt würde. Die Kom­munen kön­nen Pool­ing­di­en­ste mit Aufla­gen verse­hen, diese mit Bussen und Bah­nen zu verbinden und den Verkehr als ein “Hub and Spoke”-Prinzip organ­isieren: Busse und Bah­nen als Verbindung zwis­chen den Verkehrskon­tenpunk­ten (“Hubs”) und Pool­ing­di­en­ste, Fahrräder, E‑Autos, Scoot­er, Tretroller als Tür-zu-Tür Verbindung (“Spoke”), später ergänzt durch autonome Shut­tles, die den Verkehr beque­mer, sicher­er und nach­haltiger machen. Es muss dann kein­er mehr ein Auto besitzen oder selb­st steuern.
Kommt nicht, braucht kein­er, geht nicht? Solche Ein­wände klin­gen allzu bekan­nt, als erste Reak­tion auf Apple, Google, Face­book, Ama­zon oder Tes­la. Und dann kommt der Wan­del doch schneller — aber von anderen und wir sind wieder nicht dabei.«
Der Gast­beitrag ist im Orig­i­nal hier nachzulesen
Über den Bun­desver­band eMo­bil­ität e.V.
Der Bun­desver­band eMo­bil­ität (BEM) ist ein Zusam­men­schluss von Unternehmen, Insti­tu­tio­nen, Wis­senschaftlern und Anwen­dern aus dem Bere­ich der Elek­tro­mo­bil­ität, die sich dafür ein­set­zen, die Mobil­ität in Deutsch­land auf Basis Erneuer­bar­er Energien auf Elek­tro­mo­bil­ität umzustellen. Zu den Auf­gaben des BEM gehört die aktive Ver­net­zung von Wirtschaft­sak­teuren für die Entwick­lung nach­haltiger und inter­modaler Mobil­ität­slö­sun­gen, die Verbesserung der geset­zlichen Rah­menbe­din­gun­gen für den Aus­bau der eMo­bil­ität und die Durch­set­zung von mehr Chan­cen­gle­ich­heit bei der Umstel­lung auf emis­sion­sarme Antrieb­skonzepte. Der Ver­band wurde 2009 gegrün­det. Er organ­isiert 300 Mit­glied­sun­ternehmen, die ein jährlich­es Umsatzvol­u­men von über 100 Mil­liar­den Euro verze­ich­nen und über eine Mil­lion Mitar­beit­er weltweit beschäftigen.
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