Erstes Elektroauto nimmt am deutschen Markt für Primärregelenergie teil

23. Okto­ber 2018 / Artikel erschienen auf ⇢ www.pv-magazin.de / Pho­to: pv mag­a­zine, Mir­co Sieg
Dass Elek­troau­tos ihren Strom aus dem öffentlichen Strom­netz beziehen, ist völ­lig nor­mal. Dass sie ihn bei Bedarf aber auch wieder ein­speisen, um das Strom­netz zu sta­bil­isieren, ist in Deutsch­land ein Novum. Das Münch­n­er Unternehmen The Mobil­i­ty House, der Fahrzeug­bauer Nis­san und der Energiev­er­sorg­er Enervie haben nun in Hagen erst­mals die Bere­it­stel­lung von Primär­regelleis­tung durch einen Nis­san LEAF vorge­führt. Dafür hat das Elek­tro­fahrzeug in Kom­bi­na­tion mit ein­er entsprechen­den Ladesäule zunächst den nöti­gen Präqual­i­fizierung­sprozess durch­laufen. Anschließend wurde das Fahrzeug in ein größeres Bat­ter­iespe­ich­er-Port­fo­lio von Enervie inte­gri­ert. Offiziell fungiert das Elek­troau­to mit der darin enthal­te­nen 40-Kilo­wattstun­den-Bat­terie nun als Kraftwerk.
In der Enervie-Zen­trale in Hagen ist die Vehi­cle-to-Grid-Anwen­dung am Dien­stag offiziell in ein­er Live-Demon­stra­tion vorge­führt wor­den. Nach einem gemein­schaftlichen Druck auf den roten Knopf wurde der Nis­san LEAF in die Pri­mar­regelleis­tungs­bere­it­stel­lung integriert.
Zusatzer­löse als Anreiz für Intelligenz
Damit sind die beteiligten Part­ner dem Elek­tro­mo­bil als Teil des intel­li­gen­ten Strom­net­zes einen großen Schritt nähergekom­men. Erik Höhne, Vor­stand des Energiev­er­sorg­ers Enervie, erk­lärte den Nutzen dieser neuen Lösung aus der Sicht eines Verteil­net­z­be­treibers: Wenn wir in Deutsch­land eine flächen­deck­ende Elek­tro­mo­bil­ität erre­ichen wollen, wür­den sich daraus auch Her­aus­forderun­gen für das Strom­netz ergeben. »Wenn zum Beispiel alle nach der Arbeit um 19 Uhr ihr Auto laden wollen, dann wird eine erhe­bliche Leis­tung abge­fragt.« Eine Lösung wäre mehr Kupfer in die Erde zu brin­gen. Das sei aber nicht »intel­li­gent« und zudem teuer. Bess­er sei es, Anreize für intel­li­gentes Laden zu geben. Dann entschei­de nicht mehr der Kunde, wann geladen wird, son­dern der Net­z­be­treiber. Damit die Kun­den das auch wollen, müssten Anreize geschaf­fen wer­den. Und Zusatzer­löse aus der Primär­rege­len­ergiebere­it­stel­lung kön­nten so ein Anreiz sein.
Lösung ab kom­menden Jahr erhältlich
Guil­laume Pel­letreau, Geschäfts­führer von Nis­san Cen­ter Europe, wies darauf hin, dass »Elek­tro­mo­bil­ität mehr als nur ein Auto­geschäft« sei. Sein Unternehmen habe weltweit schon mehr als 370.000 Elek­tro­fahrzeuge verkauft. Darüber hin­aus habe Nis­san aber auch schon an der Errich­tung von sta­tionären Spe­ich­er­sys­te­men mit­gewirkt, zum Beispiel für die ⇢ Ams­ter­dam Are­na, in der 148 gebrauchte Nis­san LEAF-Bat­te­rien in ein­er 2nd-Use-Anwen­dung zum Ein­satz kom­men. Die Groß­bat­terie mit ins­ge­samt rund drei Megawatt Leis­tung fungiere dabei nicht nur als Back­up-Sys­tem für die Are­na, son­dern stelle eben­falls Net­z­di­en­stleis­tun­gen bere­it. Die Tech­nolo­gie, die Nis­san am Dien­stag in Hagen vor­führte, sei ab kom­men­dem Jahr auf dem deutschen Markt erhältlich. Dann wür­den ver­mut­lich erst Pilot­pro­jek­te mit eini­gen Großkun­den umge­set­zt, in der dann auch indi­vidu­elle Erlös-Konzepte entwick­elt würden.
Unter­stützung für die Übertragungsnetze
Eine Ein­schätzung aus der Sicht eines Über­tra­gungsnet­z­be­treibers gab Andreas Wal­czuch von Ampri­on. In Kon­ti­nen­taleu­ropa wür­den rund 3000 Megawatt Primär­regelleis­tung vorge­hal­ten. In Deutsch­land seien es etwa 600 Megawatt. Der deutsche Markt für Primär­regelleis­tung habe in den ver­gan­genen Jahren zudem eine sig­nifikante Verän­derung durchgemacht. Im Jahr 2014 habe es prak­tisch noch keine Bat­ter­iespe­ich­er im Netz gegeben, die Primär­regelleis­tung bere­it­gestellt haben. Dank hoher Investi­tio­nen seien in den Jahren 2015 bis 2018 mehr als 200 Megawatt Bat­ter­iespe­ich­er-Leis­tung in die Net­ze inte­gri­ert und für die Primär­regelleis­tung zuge­lassen wor­den. »Diese Dien­stleis­tung kann auch durch Elek­troau­tos über­nom­men wer­den«, sagte Wal­czuch. Und auf­grund der erwarteten Mark­ten­twick­lung für Elek­tro­fahrzeuge könne sich daraus auch ein sehr inter­es­san­ter Anwen­dungs­fall im Bere­ich der Regelleis­tung ergeben.
Spe­ich­er nicht mehr diskriminieren
Andreas Riemkus, Mit­glied des Deutschen Bun­destages für die SPD, sprach von einem »ful­mi­nan­ten Schritt in der Sek­torenkop­plung«. Denn viele Autos blieben 23 Stun­den am Tag ungenutzt. Elek­troau­tos kön­nten nun in dieser Zeit einen Zusatznutzen für das Strom­netz liefern. Zudem kri­tisierte er die derzeit­ige Reg­ulierung von Spe­ich­er­sys­te­men, bei der sowohl beim Ein- aus auch beim Ausspe­ich­ern EEG-Umlage gezahlt wer­den müssen. Er wolle sich für eine Ende dieser Regelung ein­set­zen. Es müsse auch unter­schiedliche Anforderun­gen geben, je nach­dem ob ein Spe­ich­er als net­z­di­en­lich­er Boost­er, Kurz- oder Langfrist­spe­ich­er einge­set­zt wird.
Für Intel­li­genz sind Dat­en nötig
Bern­hard Schae­fer, Geschäfts­führer der BDEW-»Landesgruppe NRW — Elek­tro­mo­bil­ität«, wies darauf hin, dass es let­ztlich darum geht, die CO2-Ziele zu erre­ichen und fos­sile Kraft­stoffe zu erset­zen. Dafür müsse man den Ver­brauch­er vom Gesamt­sys­tem überzeu­gen. Denn wenn Elek­troau­tos das Energiesys­tem stützen sollen, sei es auch nötig die Dat­en der Elek­tro­fahrzeuge und Ladesta­tion zu ver­ar­beit­en. »Dazu müssen wir Überzeu­gungsar­beit leis­ten«, sagte er. »Aber ohne die Dat­en geht es nicht.«
Dem stimmte Markus Emmert vom Bun­desver­band eMo­bil­ität teil­weise zu. Sein Ver­band set­ze sich schon seit langem dafür ein, dass die Her­steller ihre Dat­en teilen. Das sei aber schwierig und man müsse vorher auch klären, welche Dat­en den über­haupt gebraucht wer­den und wem die Dat­en gehören. Aber spätestens wenn wir den näch­sten Schritt in der Mobil­ität hin zum autonomen Fahren gin­gen, seien detail­lierte Dat­en unabdingbar.
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