Die Straßen voller Speicher

März 2021 / Artikel erschienen in Reich­weitE / 24. März Handelsblatt
Elek­tro­fahrzeuge fahren mit Strom aus erneuer­baren Energiequellen. Die Befürch­tung, dass sie die Strom­net­ze zu stark belas­ten, ist unbe­grün­det. Im Gegen­teil: eFahrzeuge kön­nten sog­ar die Net­ze ent­las­ten, indem sie grü­nen Strom bedarf­s­gerecht wieder zurück­geben. Wie das funk­tion­iert, erläutert Markus Emmert, Vor­stand des Bun­desver­band eMo­bil­ität e. V. (BEM) im Interview.
Herr Emmert, der Aus­bau der Elek­tro­mo­bil­ität gilt als nach­haltige Mobil­itäts-Alter­na­tive. Wie sieht der Strom­mix im Bere­ich eMo­bil­ität aus?

Im Bere­ich der Elek­tro­mo­bil­ität herrscht meist Grün­strompflicht, sprich alle öffentlichen Ladesäulen und auch die meis­ten pri­vat­en liefern Strom aus erneuer­baren Energiequellen. Das wird ges­teuert, indem auss­chließlich grün­er Strom für die Ladesta­tio­nen eingekauft wird. Hier­bei stellt der E‑Mobilitätssektor eine Aus­nahme dar. Denn grund­sät­zlich enthält der Strom­mix in Deutsch­land nur etwa zu 50 Prozent Energie, die aus erneuer­baren Quellen stammt.
Kri­tik­er bemän­geln, dass Elek­tro­fahrzeuge das Strom­netz belas­ten, grü­nen Strom aus dem Netz »weg­nehmen«. Wie beurteilen Sie das?

Es stimmt, dass die Elek­tro­mo­bil­ität einen Teil aus dem grü­nen Anteil des Stro­mange­bots für sich beansprucht. Zu argu­men­tieren, dass sie etwas »weg­n­immt«, also dafür sorgt, dass mehr fos­sile Energi­eträger zum Ein­satz kom­men müssten, belegt ein Denken in star­ren Verteil-Gren­zen. Richtig wäre es doch, die erneuer­baren Energien kon­tinuier­lich auszubauen, sodass sie den Energiebe­darf voll­ständig abdeck­en können. 
Klug wäre es zum Beispiel, bes­timmte Kenn­zahlen, wie die Anzahl der Ladesäulen, den Verkauf oder Ein­satz von Elek­tro­fahrzeu­gen, regelmäßig zu erheben, auf dieser Basis dann den Bedarf an Grün­strom im Bere­ich der Elek­tro­mo­bil­ität vorherzuse­hen und die Energiemenge entsprechend vorzuhal­ten. Denn ide­al­er­weise sollte in allen Lebens­bere­ichen die einge­set­zte Energie zu 100 Prozent aus erneuer­baren Quellen stammen.
Ist das denn über­haupt möglich?

Tech­nisch betra­chtet ja. Ein Prob­lem, das wir beim The­ma Strom aus erneuer­baren Energien in allen Bere­ichen haben, ist dass er gespe­ichert wer­den muss. Das gilt ins­beson­dere für Wind- und Sonnenen­ergie, die einen erhe­blichen Anteil im erneuer­baren Energie-Mix aus­machen. Es gibt aber auch Energiequellen, zum Beispiel Wasserkraft oder Geot­her­mie, die grund­last­fähig sind. Das bedeutet, dass sie nicht oder kaum von anderen Fak­toren wie beispiel­sweise dem Wet­ter abhängig sind. Sie kön­nen gut plan­bar als Energiequellen
einge­set­zt werden.

Elek­tro­fahrzeuge kön­nten auch selb­st dazu beitra­gen, Grün­strom bess­er ver­füg­bar zu machen. Wie funk­tion­iert das?

Die Energie aus Son­nen- oder Wind­kraft ist nur inter­vall­weise im Strom­netz ver­füg­bar. Und zwar immer dann, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Um Schwankun­gen bei der Ver­füg­barkeit von grünem Strom zu ver­mei­den, braucht es Zwis­chen­spe­ich­er, die über­schüs­sig pro­duzierte Energie auf­fan­gen und zu einem späteren Zeit­punkt wieder zurück­geben. Und genau das kön­nen Elek­tro­fahrzeuge leis­ten. Die Idee ist, dass eine aufge­ladene Fahrzeug­bat­terie angeschlossen an eine Ladesäule einen Teil des gelade­nen Stroms zu einem gün­sti­gen Zeit­punkt, sprich wenn die Energie gebraucht wird, ins Strom­netz zurück­speist. Wir nen­nen das »Vehi­cle-to-Grid-Lösun­gen«.
Dabei muss nie­mand Angst haben, dass seine Bat­terie leer­läuft. Es gin­ge hier um Spe­icher­ab­gaben von weni­gen Prozent. Für den Einzel­nen kaum merk­bar, im Gesamt­bild jedoch ein enormer Beitrag: Denn selb­st zehn Prozent der Spe­icherka­paz­ität aller Elek­troau­tos in Deutsch­land machen einen sig­nifikan­ten Anteil aus. Bei zehn Mil­lio­nen Elek­tro­fahrzeu­gen ergibt das immer­hin rund 40 Gigawattstun­den Speicherkapazität.
Wie gelingt es, das umzusetzen?

Es braucht ein vernün­ftiges Vergü­tungssys­tem, damit die Men­schen mit­machen. Wenn die Ver­brauch­er gün­stig Strom einkaufen und zu einem höheren Preis wieder verkaufen kön­nen, wird mark­t­gerecht­es Ver­hal­ten belohnt. So gelingt es, dass Energieüber­schüsse aufge­fan­gen und zu einem anderen Zeit­punkt wieder abgegeben wer­den. Das Prinzip von last­vari­ablen Strom­tar­ifen funk­tion­iert in eini­gen skan­di­navis­chen Län­dern bere­its ganz gut. In Deutsch­land gibt es erste Pilot­pro­jek­te in einzel­nen Regionen.
Der Ein­satz von Strom aus erneuer­baren Energien ist nur ein Beispiel. Wie kön­nen Elek­troau­tos noch dazu beitra­gen, CO2- Emis­sio­nen zu verringern?

Um zu beurteilen, wie umwelt­fre­undlich ein Fahrzeug ist, muss der Blick auf die Öko­bi­lanz der gesamten Wertschöp­fungs­kette gerichtet wer­den. Wie viel CO2 wird etwa bei der Pro­duk­tion, im Zuge der Liefer­kette in der Nutzungsphase oder beim Recy­cling ver­braucht? Ein Elek­tro­fahrzeug gilt als CO2-neu­tral, wenn möglichst wenig Kohlen­diox­id ent­lang der gesamten Wertschöp­fungs­kette aus­gestoßen wird, möglichst voll­ständig Energie aus erneuer­baren Quellen einge­set­zt und nicht ver­mei­d­bare Emis­sio­nen kom­pen­siert wer­den. Ein entschei­den­der Punkt ist etwa die Pro­duk­tion der Bat­terie, bei der beson­ders viel Emis­sio­nen anfall­en. Aber auch Liefer­wege spie­len eine wichtige Rolle.
Viele Her­steller von Elek­tro­fahrzeu­gen gehen hier bere­its sehr gewis­senhaft vor, da sie wis­sen, dass ihre Kun­den sehr nach­haltigkeit­saf­fin sind. Ich würde sagen, dass Elek­tro­fahrzeuge in der Well-to-Wheel-Betra­ch­tung, also von der Pro­duk­tion über den Fahrbe­trieb bis hin zu Ver­schrot­tung, heute bere­its zu 80 bis 90 Prozent CO2-neu­tral sein dürften.
Was muss Ihrer Mei­n­ung nach geschehen, um E‑Mobilität aus grü­nen Stromquellen in Zukun­ft noch weit­er voranzutreiben?

Es ist wichtig, dass die an der Gestal­tung der Rah­menbe­din­gun­gen beteiligten Akteure nicht nur in Sek­toren denken, son­dern vorauss­chauend die Kon­se­quen­zen für ver­schiedene Bere­iche berück­sichti­gen. Ein Aus­bau der Lade­in­fra­struk­tur beispiel­sweise bet­rifft nicht nur den Verkehrssek­tor, son­dern auch die Energiewirtschaft, die Auto­mo­bil­wirtschaft, die Immo­bilien­wirtschaft und so weit­er. Es wer­den hier in Zukun­ft fort­laufend intel­li­gente Lösun­gen gefun­den, die einen Nutzen für alle Beteiligten bere­i­thal­ten. Das sollte reg­u­la­torisch mitgedacht wer­den, um Entwick­lun­gen zu ermöglichen und nicht vor­eilig abzuwürgen.
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