Eine Milliarde Fahrzeuge

Immer mehr Stim­men, aus dem (gefühlt) immer größer wer­den­den Umfeld auto­mo­bil­er Spezial­is­ten, treten mit mah­nen­den Worten an die Öffentlichkeit. Eine Mil­lion Elek­tro­fahrzeuge in Deutsch­land bis 2020, das sei reine Utopie und Wunschdenken.
Die Argu­mente wieder­holen sich, Preis, Reich­weite, Ladezeit­en, fehlende Infra­struk­tur sind noch die sach­lich­sten Argu­mente. Wenn es auf das Feld der Emis­sions­bi­lanzen, der soge­nan­nten Well-to-Wheel Analy­sen geht, wer­den die Dinge schon aben­teuer­lich­er, das leicht zu ver­mit­tel­nde Argu­ment »…dann kom­men die Emis­sio­nen eben nicht aus dem Aus­puff, son­dern aus dem Schorn­stein« ist angenehm eingängig und find­et daher auch schnell seinen Weg in das Mei­n­ungs­bild. Befür­worter der Elek­tro­mo­bil­ität assozi­ieren mit dem Elek­troau­to Win­dräder und Solar­mod­ule, Zwei­fler sehen vor dem geisti­gen Auge eher den Schlot eines Kohlekraftwerks, in der Real­ität nen­nt sich das Strom­mix. Eben dieser ist aber kein sta­tis­ch­er Zus­tand son­dern mas­siv im Umbruch, die instal­lierte Leis­tung an Erneuer­bar­er Energie steigt täglich, das Energieange­bot somit natür­lich auch.
Während die Diskus­sio­nen rund um das Elek­troau­to die Gesellschaft sich­er noch eine Weile beschäfti­gen wer­den, wurde im let­zten Dezem­ber eine erstaunliche Zahl über­schrit­ten. Seit Dezem­ber 2012 leben nicht nur 7,1 Mil­lar­den Men­schen auf unserem Plan­eten, son­dern fahren erst­ma­lig auch mehr als eine Mil­liarde Fahrzeuge. 98% dieser Fahrzeuge wer­den von einem einzi­gen Rohstoff angetrieben: Erdöl. Im Jahr 2013 wer­den erst­ma­lig mehr als 80 Mil­lio­nen neue Fahrzeuge pro­duziert wer­den, der Net­to-Zuwachs wird bei knapp über 30 Mil­lio­nen Fahrzeu­gen liegen. Wir pro­duzieren damit pro Jahr etwa so viele Fahrzeuge, wie es zur Zeit der ersten Ölkrise 1973 über­haupt weltweit gab.
Wenn sich das Wach­s­tum nicht weit­er beschle­u­nigt, sind also etwa alle drei Jahre 100 Mil­lio­nen zusät­zliche Fahrzeuge auf den Straßen der Welt unter­wegs. Da damit bis­lang auf sieben Erd­be­wohn­er nur ein Fahrzeug kommt, gibt es noch Luft nach oben. Nun ver­brauchen 100 Mil­lio­nen neue Fahrzeuge natür­lich auch mehr Treib­stoff. Bei durch­schnit­tlichen Werten für Fahrleis­tung und Ver­brauch unge­fähr 1,4 Mil­lio­nen Bar­rel Erdöl pro Tag, zusät­zlich zu den etwa 88 Mil­lio­nen Bar­rel, die wir glob­al aktuell pro Tag verbrauchen.
Umgekehrt bedeutet dies, wenn wir den Ver­brauch an Erdöl und die damit ver­bun­de­nen Emis­sio­nen nicht unbe­gren­zt steigen lassen wollen, müssen die vorhan­de­nen Fahrzeuge effizien­ter wer­den. Rein rech­ner­isch zehn Prozent Effizien­zverbesserung alle drei Jahre!
Doch eigentlich müssen wir die Emis­sio­nen nicht nur sta­bil­isieren, son­dern senken. Wenn das 2°C‑Ziel der Tem­per­a­tur­erhöhung auch nur ansatzweise erre­icht wer­den soll, müssen die Indus­trielän­der laut IPCC (Inter­gov­ern­men­tal Pan­el on Cli­mate Change) bis 2050 ihre Treib­haus­gase­mis­sio­nen um 90 % reduzieren. Im gle­ichen Szenario des IPCC darf der CO2-Gehalt der Erdat­mo­sphäre die 450 ppm (parts per mil­lion) Schwelle nicht über­schre­it­en, kür­zlich haben wir die 400 ppm Marke bere­its geris­sen. Pro Jahr kom­men zwei bis drei ppm dazu. Die Geschwindigkeit der Zunahme steigt ten­den­ziell, die Schwellen­län­der sind auf einem mas­siv­en Aufholkurs zu den Industrieländern.
Unsere Bun­desregierung und die EU-Kom­mis­sion haben die Ziele des IPCC über­nom­men, bis 2050 will man die Treib­haus­gase­mis­sio­nen um 80 bis 90 % reduzieren. Die Emis­sionsvor­gaben für Pkw hat Brüs­sel diesem über­ge­ord­neten Ziel bere­its unterworfen.
Nimmt man die 120 g/km für 2015, dann entsprechen die 95 g/km fünf Jahre später etwa der oben skizzierten Effizien­zverbesserung von zehn Prozent alle drei Jahre. Daraus lassen sich fol­gerichtig auch bere­its die notwendi­gen Gren­zw­erte für 2025 (80g/km) und 2030 (65 g/km) abschätzen.
Selb­st wenn wir diese anspruchsvollen Ziele erre­ichen, sta­bil­isieren wir damit lediglich die Emis­sio­nen und auch dies nur, wenn die fortschrit­tliche Tech­nolo­gie für die Erre­ichung dieser Ziele glob­al aus­gerollt wird.
Noch ein weit­eres Prob­lem wird durch die kon­tinuier­lich steigende Fahrzeugflotte evi­dent: Die zurück­ge­hende Ölförderung. Auch wenn momen­tan ein regel­rechter Hype um die Pro­duk­tion­sanstiege in den USA ent­bran­nt ist, ganz opti­mistis­che Vorher­sagen rech­nen mit einem Förder­anstieg von drei bis vier Mil­lio­nen Bar­rel pro Tag, bleibt dies ein geringer Beitrag, der zudem aufwands­be­d­ingt hoch mit CO2 belastet ist. Abge­se­hen davon, die wach­sende Fahrzeugflotte dürfte dies schnell kom­pen­sieren. Es tritt zudem der Effekt auf, dass wenn dieses zusät­zliche Öl tat­säch­lich den Druck von den Preisen etwas nimmt, dann wird automa­tisch auch wieder mehr gefahren, ins­beson­dere in den USA. Dort ist in den let­zten zwei Jahren der Ver­brauch um vier Mil­lio­nen Bar­rel pro Tag drama­tisch zurückgegangen.
Fak­tisch gibt es nur noch drei Län­der auf der Welt, die ihre Ölpro­duk­tion sig­nifikant aus­dehnen kön­nten: Irak, Brasilien und Kasach­stan. Alle anderen Förder­län­der kön­nen mit Mühe das Niveau hal­ten oder die Förderzahlen sind bere­its rück­läu­fig. In Europa bricht die Förderung derzeit mit 12 % pro Jahr regel­recht ein. Wie auch immer sich dies zeitlich man­i­festieren wird, der Trend der kün­fti­gen Ölver­sorgung ist in jedem Fall nicht mit den steigen­den Fahrzeugzahlen in Übere­in­stim­mung zu bringen.
Was hat dies alles damit zu tun, dass in Deutsch­land die eine Mil­lion Elek­tro­fahrzeuge bezweifelt wer­den? Noch immer tendieren wir dazu, die Welt durch die fos­sile Brille zu betra­cht­en. Wenn Elek­tro­fahrzeuge scheit­ern, dann greift das Down­siz­ing und langfristig machen wir weit­er wie bish­er. Das Sys­tem »Ver­bren­nungsmo­tor« hat sich schließlich bewährt und ist glob­al ein großer Erfolg. Doch ist das wirk­lich eine real­is­tis­che Option? Wer, glob­al gese­hen, eins und eins zusam­men­zählt, wird da zumin­d­est unsich­er wer­den. Kön­nen wir langfristig wirk­lich auf ein so unsicheres und let­ztlich bedrohlich­es Konzept setzen?
Der Elek­troantrieb wird das Mit­tel der Wahl sein, in einem ersten Schritt um die Emis­sion­sziele über­haupt erre­ichen zu kön­nen und langfristig um den Verkehrs­bere­ich kom­plett auf Erneuer­bare Energien umzustellen. Dies mögen rein prak­tisch vielle­icht zunächst Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge sein, das Öl geht uns ja noch nicht aus, es wird nur teur­er. Langfristig wer­den wir uns dadurch aber an das elek­trische Fahren gewöh­nen. Durch die Energiewende wird zumin­d­est in Deutsch­land gle­ichzeit­ig immer mehr erneuer­bar­er Strom im Netz ver­füg­bar wer­den. Allein der geplante Zubau an Winden­ergie wird 2025 über 200 TWh (Ter­awattstun­den) elek­trische Energie ins Netz ein­speisen, für 40 Mil­lio­nen Elek­troau­tos bedarf es 60 ‑70 TWh.
Die näch­ste Gen­er­a­tion rein­er Elek­tro­fahrzeuge ste­ht bere­its vor der Tür. Mit­subishis neuer i‑MiEV ver­spricht bis zu 300 km Reich­weite. Tes­la wider­legt mit seinem Mod­el S ger­ade, dass ein Elek­tro­fahrzeug klein sein muss oder ein reines Stadt­fahrzeug ist. Fast 500 PS und 450 km Reich­weite markieren zumin­d­est, was tech­nisch möglich ist. Die Frak­tion der Brennstof­fzel­len­fahrzeuge ste­ht eben­falls in den Startlöch­ern. Toy­ota, Hon­da, Daim­ler und Hyundai haben nur ein sehr sparsames Ange­bot an Bat­teriefahrzeu­gen, sie set­zen auf Brennstof­fzellen betrieben mit Wasser­stoff. Aus Frankre­ich und auch aus Deutsch­land wird man zunehmend auch bezahlbare Elek­tro­fahrzeuge sehen und von BMW erwarten wir mit dem i3 ein Fahrzeug voller span­nen­der Innovationen.
Ein Maß dafür, wie aktiv die Indus­trie ger­ade ist, sind die momen­ta­nen Her­aus­forderun­gen an die TÜV SÜD Inge­nieure. Nie zuvor hat es Aktiv­itäten in solch­er Bre­ite gegeben. Für alle neuen Antrieb­s­for­men und ihre Infra­struk­turen gilt es Sicher­heit­skonzepte zu entwick­eln, zu über­prüfen und die fer­ti­gen Pro­duk­te schließlich zuzulassen.
Bei allen gesellschaftlichen Diskus­sio­nen, lassen sie uns die glob­alen Her­aus­forderun­gen und Ziele nicht aus den Augen ver­lieren: Wir müssen die Emis­sio­nen kon­tinuier­lich reduzieren, dabei Arbeit­splätze sich­ern und den Wohl­stand wahren.
Die Umstel­lung auf Erneuer­bare Energien und die bre­ite Ein­führung elek­trisch­er Antriebe sind zwei Tech­nolo­gien, die dieses große Ziel für den Bere­ich der Mobil­ität möglich machen.
Volk­er Blandow
TÜV SÜD
⇢ www.tuev-sued.de

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