Die magische Zahl der Elektromobilität

Eine Zahl in den Raum zu stellen, ist immer so eine Sache. Über kurz oder lang wird man daran gemessen wer­den, ob deren Erre­ichen in Sichtweite ist. Schafft man nur die Hälfte, ist es ein Mis­ser­folg. Nun hat die Nationale Plat­tform für Elek­tro­mo­bil­ität (NPE), unter der Mitar­beit viel­er Akteure aus Indus­trie, Poli­tik und Wis­senschaft genau dies getan: Eine Mil­lion Elek­tro­fahrzeuge sollen bis 2020 auf Deutsch­lands Straßen rollen. Die Poli­tik hat daraus ein nationales Ziel proklamiert, die Medi­en haben es gerne aufge­grif­f­en und in der Öffentlichkeit ver­bre­it­et. Es ist ein anspruchsvolles Ziel, das verdeut­lichen soll: Deutsch­land meint es ernst mit der Elek­tro­mo­bil­ität. Aber es ist auch ein Ziel, das Skep­tik­er auf den Plan ruft. Derzeit mehren sich die Ver­suche die aktuellen Verkauf­szahlen auf das Jahr 2020 zu extrapolieren. Und wie man es auch dreht und wen­det, daran gemessen ist die Elek­tro­mo­bil­ität heute schon gescheit­ert. Keine der Prog­nosen führt zur magis­chen Zahl. Acht Jahre vor dem Ziel­d­a­tum wird öffentlich über eine Reduk­tion der Zielvor­gaben nachgedacht.
Ich möchte hier ganz offiziell dafür plädieren, die Zahl wie sie ist zu belassen und den Vorher­sagen der akribis­chen Rech­n­er mit etwas mehr Gelassen­heit zu begeg­nen. Ein biss­chen »schaun wir mal« täte der Diskus­sion gut. Dies natür­lich ohne in den Anstren­gun­gen nachzu­lassen. Wer einen Blick auf die momen­ta­nen Aktiv­itäten in der Indus­trie wirft, bekommt ohne­hin einen ganz anderen Ein­druck. Da wir als TÜV SÜD in viele Entwick­lun­gen — speziell in neuen Tech­nolo­giefeldern — früh einge­bun­den sind, haben wir eine recht gute Über­sicht. Während in den let­zten 12 Monat­en bei vie­len Auto­mo­bil­her­stellern, Zulief­er­ern und Kom­po­nen­te­nen­twick­lern erst ein­mal der Auf­bau von Kom­pe­ten­zteams im Vorder­grund stand, entwick­eln sich jet­zt zunehmend erste Pro­duk­te in Rich­tung Mark­treife. Die Beto­nung liegt bewusst auf »erste« Pro­duk­te, denn in den jew­eili­gen Häusern wird längst weit­er gedacht. Die gle­iche Inten­sität beobacht­en wir nicht nur bei den Fahrzeu­gen selb­st. Derzeit prüfen wir vor allem Lade­in­fra­struk­tur und Antrieb­skom­po­nen­ten hin­sichtlich der ver­schiede­nen Zulas­sun­gen und Typ­genehmi­gun­gen. Außer­dem ver­lan­gen viele Kun­den, die bish­er vornehm­lich für den deutschen Markt entwick­elt haben, inzwis­chen eine viel inter­na­tionalere Aus­rich­tung für die Zer­ti­fizierung ihrer Pro­duk­te. Anfra­gen für Zulas­sun­gen in ein­hun­dert Län­dern und mehr sind inzwis­chen mehr die Regel denn die Aus­nahme. Das stellt auch uns logis­tisch vor große Herausforderungen.
Neben den inter­na­tionalen Stan­dards — die teils noch in der Entwick­lung sind und zu deren Entste­hung wir auch aktiv beitra­gen — gilt es viele nationale Eigen­heit­en zu berück­sichti­gen. Ins­beson­dere in Asien gibt es wenig har­mon­isierte Stan­dards. Die Anforderun­gen in Sin­ga­pur zum Beispiel sind andere als in Malaysia, Tai­wan, Hongkong oder Chi­na. So wie die Indus­trie sich auf den weltweit­en Roll-out ihrer Pro­duk­te vor­bere­it­et, Verkauf­sper­son­al und Werk­stät­ten schult, so opti­mieren (und har­mon­isieren) auch wir als Prüf­di­en­stleis­ter unsere Pro­duk­te in der Elek­tro­mo­bil­ität inzwis­chen an allen Stan­dorten weltweit.
Mit der Ein­führung ein­er neuen Antrieb­stech­nolo­gie ist weit mehr ver­bun­den als es auf den ersten Blick scheinen mag. Speziell die Kun­den deutsch­er Pro­duk­te haben eine extreme Qual­ität­ser­wartung. Und die gilt dann nicht nur für das Fahrzeug, son­dern auch für die Lade­in­fra­struk­tur, für den Dien­stleis­ter, der diese beim Kun­den instal­liert und den Kun­denser­vice in den Marken­werk­stät­ten. TÜV SÜD schult bere­its seit einiger Zeit ver­mehrt auch das After-Sales-Per­son­al ver­schieden­er Fahrzeugher­steller weltweit, denn ins­beson­dere im außereu­ropäis­chen Umfeld ist die Aus­bil­dungsqual­ität beispiel­sweise von Kfz-Mecha­tron­ikern sehr unter­schiedlich, eben­so das Wis­sen um Hoch­voltkom­po­nen­ten. Viele Akteure leg­en daher die deutschen Arbeitss­chutzrichtlin­ien und Unfal­lver­hü­tungsvorschriften auch im Aus­land als Maßstab an. Unsere Train­er sind deshalb derzeit viel unter­wegs. Wir schulen u.a. in Indi­en, Chi­na, Tai­wan, Korea und Japan, wenn möglich in der jew­eili­gen Lan­dessprache. Nicht zu vergessen jenes Per­son­al, welch­es die Elek­tro­fahrzeuge und Kom­po­nen­ten fer­tigt. Auch hier ist der Pro­duk­tion­sprozess längst ein Zusam­men­spiel inter­na­tionaler Akteure und Arbeitssicher­heit ein glob­ales Thema.
Dies war nur ein kurz­er Ein­blick in die Welt der »Mach­er« der Elek­tro­mo­bil­ität. Ähn­lich dynamisch zeigt sich auch der Bere­ich der Bat­te­rien. Die Leis­tungs­fähigkeit der Zellen steigt beina­he monatlich. Und immer wieder tauchen neue Her­steller auf.
Ist es also reell, wenn wir momen­tane Verkauf­szahlen bis 2020 extrapolieren und schon heute die Nichter­re­ichung der magis­chen Zahl fest­stellen? Die Antwort kann nur ganz klar »Nein« laut­en. Denn Prog­nosen sind immer dann schwierig, wenn die Rah­menbe­din­gun­gen sich, so wie jet­zt, mas­siv ändern. Und die Welt ist im Wan­del. Ressourcenverk­nap­pung und Kli­maschutz geben die Rich­tung vor. Vor diesem Hin­ter­grund sind acht Jahre doch wieder ein recht langer Zeitraum, in dem sich vieles ändern kann und auch sollte!
Volk­er Blandow
TÜV SÜD
www.tuev-sued.de

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