Tacheles

Vor dem Hin­ter­grund drastisch zunehmender und ökol­o­gisch beden­klich­er Entwick­lun­gen ist es an der Zeit, die vorherrschende Betra­ch­tungsweise im Bere­ich Energie und Mobil­ität über reine Wirtschaftlichkeits­be­tra­ch­tun­gen hin­aus zu erweit­ern. Einige rel­e­vante Play­er schreiben sich diesen Struk­tur­wan­del inzwis­chen auch auf die Fahne der Oppor­tune, find­en jedoch in ihrem Umfeld noch viel zu oft Argu­men­ta­tio­nen für genau gegen­teiliges Handeln.
Der Zusam­men­hang scheint vie­len noch nicht klar gewor­den zu sein. Die Umwelt-Folgeschä­den über­steigen bei weit­em die Investi­tio­nen in nach­haltige Maß­nah­men. Dieser über­ge­ord­nete Kausal­rah­men eröffnet Poten­ziale für eine Green Econ­o­my, die sich immer sicht­bar­er und ins­beson­dere erfol­gre­ich­er auf­stellt. Je schneller diese nach­halti­gen Tech­nolo­gien Mark­t­poten­ziale erobern, desto schneller wächst auch die Bere­itschaft, sich dem anzuschliessen und eine neue Wirtschaftlichkeit zu ent­deck­en, die in Ein­klang mit den Bedürfnis­sen nach­fol­gen­der Gen­er­a­tio­nen steht.
Dass dies eben­so prof­ita­bel sein wird, ist vie­len Inve­storen heute bere­its klar. Dem im Wege ste­ht oft­mals das möglichst lange Abschöpfen beste­hen­der Invest­ments mit bere­its abgeschriebe­nen Anla­gen. Der Poli­tik obliegt es, entsprechende Aufla­gen und Anreize zu schaf­fen, um die notwendi­gen Sys­temwech­sel in allen rel­e­van­ten Bere­ichen zu ermöglichen und sin­nvoll zu fördern. Es wird endlich Zeit, dass der Fak­tor Umwelt eine Zahl bekommt.
Denn dann müssen externe Kosten bei Atom‑, Öl- und Kohlekraftwerken, bei Ver­lus­ten der Bio­di­ver­sität, sowie Ökosys­tem­schä­den beim Abbau von Uran­erz, Ölschiefer und anderen Rohstof­fen adäquat berück­sichtigt wer­den. Der CO2-Ausstoß im Indus­trie- und Verkehrssek­tor, die katas­trophale Luftver­schmutzung und Lärm­beläs­ti­gung ins­beson­dere in urba­nen Räu­men und der all­ge­meine Ressourcenver­brauch müssen in TCO, Life Cycle Cost­ing, Rentabil­itäts-Analy­sen und ökonomis­chen Bilanzierun­gen sauber kalkuliert wer­den. Der Zahlt­ag kommt immer näher.
Langfristig kön­nen wir uns dann mit den wirtschaftlichen Vorteilen ein­er Mark­t­führerschaft in den Schlüs­sel­tech­nolo­gien Elek­tro­mo­bil­ität und Erneuer­bare Energien an eine sicht­bare europäis­che Spitze stellen. Die Export­poten­ziale in den Bere­ichen Aus- und Weit­er­bil­dung, Tech­nolo­gi­etrans­fer, Anla­gen- und Maschi­nen­bau und die Ver­mei­dung von Energiee­mis­sio­nen sich­ern Wohl­stand und Wertschöp­fung für Gen­er­a­tio­nen und tra­gen durch das erfol­gre­iche Beispiel dazu bei, dass auch andere Län­der ihre Kli­ma- und Umweltschutzziele erreichen.
Das Know-how für diese Prozesse ist in allen Bere­ichen bere­its heute voll­ständig vorhan­den. Die Erneuer­baren sind sog­ar bere­its heute im Modus der herkömm­lichen Bew­er­tung teil­weise kos­ten­deck­end, eine CO2-neu­trale Mobil­ität ist ten­den­ziell bei allen Her­stellern tech­nol­o­gisch ver­füg­bar und kann sich prob­lem­los emanzip­ieren. Die zumeist fehlende Zutat ist der wirtschaft­spoli­tis­che Sank­tion­swille ver­bun­den mit einem prag­ma­tis­chen Durchsetzungsinteresse.
Neben eini­gen ambi­tion­ierten und ern­stzunehmenden Ansätzen gibt es viele Kon­gresse, Diskus­sion­srun­den, Rios und Kyotos, die im Ergeb­nis allerd­ings lei­der kaum Fortschritt und glob­al nur wenig Kon­sens erken­nen lassen.
Das Gewün­schte fördern und das langfristig Uner­wün­schte entsprechend belas­ten. Der Vorschlag solch­er dur­chaus geeigneter Bonus-Malus-Sys­teme find­et heutzu­tage lei­der viel zu sel­ten den notwendi­gen Zus­pruch. Argu­men­ta­tive Schein- und Schutzbe­haup­tun­gen wollen hier für die Gle­ich­berech­ti­gung der Rechte von Kon­sumenten ein­treten und fördern dabei meist nur eins zu Tage: Den ver­al­teten Rechen­schieber, der sich immer nur in der Momen­tauf­nahme ein­er kurzen Zeitspanne rech­net, langfristig aber zum Desaster führt. Schade. In ein­er zukün­fti­gen Geschichtsstunde wird es heißen: Set­zen. Sechs.
Beispiel­haft inter­es­sant ist die Exter­nal­isierung mil­itärisch­er Sicherungskosten für Öl in mehrstel­liger Mil­liar­den­höhe. Krieg inklu­sive. Human- und Kolat­er­alschä­den nicht. Warum wer­den die tat­säch­lich ent­stande­nen Gemeinkosten für Gesellschaft und Umwelt von INES-Vor­fällen wie bei Sel­l­afield, Har­ris­burg, Tsch­er­nobyl und Fukushi­ma nicht in die Strompreis­berech­nung ein­be­zo­gen..? Mit zunehmen­dem Invest dieser Sum­men in Erneuer­bare Energien für Strom, Wärme und Verkehr ließe sich der Anteil inno­v­a­tiv­er, nach­haltiger Tech­nolo­gien zügig auf ein entschei­den­des Niveau heben.
Nach der medi­alen Halb­w­ert­szeit von Fukushi­ma mehren sich nun aber bere­its wieder erste atom­are Stim­men. Chi­na nimmt zwei Kohlekraftwerke pro Woche ans Netz, um den ras­ant steigen­den Energiebe­darf zu deck­en, was einem glob­alökol­o­gis­chen Wahnsinn gle­ichkommt, CO2-Emis­sio­nen wer­den frag­würdig unterirdisch erpresst und dreck­ige Ölsande ermöglichen auch nach Peak Oil eine hyper­mo­bile 2‑Ton­nen-Mobil­ität — bei steigen­dem Meer­esspiegel in ein paar Jahrzehn­ten dann halt eher für kleine Boote in den zumeist küsten­na­hen Metropol­re­gio­nen dieser Welt mit über 60% der Welt­bevölkerung. Aber was küm­mert uns das heute..? Zumin­d­est haben wir inno­v­a­tive Hybrid­fahrzeuge kreiert, die ganze drei Kilo­me­ter elek­trisch fahren. Das ist doch toll. Vielle­icht soll­ten wir was ändern und den guten Beispie­len unser­er Mit­glied­sun­ternehmen mehr Aufmerk­samkeit schenken.
Edi­to­r­i­al von Chris­t­ian Heep, Vor­stand Mar­ket­ing im Bun­desver­band eMo­bil­ität und Chefredak­teur der NEUEN MOBILITÄT / Aus­gabe 08 / Juli 2012

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