Reicht’s denn..?

Car­los, 31 aus Berlin fährt an 254 Tagen im Jahr mor­gens 7,8 km zur Arbeit. Wenn er mal krank ist natür­lich etwas weniger. Mit­tags geht Tan­ja in der Kan­tine essen und abends fährt sie die 11 km wieder nach Hause. Manch­mal, unge­fähr an 26 Tagen im Jahr, fährt Susan mit­tags schon mal 2,8 km ins Stadtzen­trum und an 12 Tagen fährt Hol­ger im Auto seines Kol­le­gen Heinz mit in das 3,6 km ent­fer­nte etwas bessere Restau­rant am Stad­trand. Manch­mal fährt Janine mit einem Umweg von ca. 2,7 km abends noch beim Super­markt vor­bei. Am Woch­enende fährt Mau­rice mit sein­er Fam­i­lie meist ins benach­barte Dorf oder an den See. Der ist recht weit weg, ganze 21,8 km. Vier bis fünf mal im Jahr besuchen Mar­ti­na und Kai seine Eltern in dem 26,2 km ent­fer­n­ten Land­haus. Meist kom­men ihre Eltern aber zu ihm in die Stadt gefahren, weil Steff­is Tante abends gern mal ins The­ater geht. Jens fährt lange Streck­en gern mit der Bahn und im Urlaub fliegt Kristin gern nach Spanien. Pas­cal plant ca. 32 Arbeit­stage im Jahr für seinen Arbeitsweg ein. Der nervige Weg mor­gens über den Stadtring dauert manch­mal über 21,2 Minuten, obwohl es im Durch­schnitt ger­ade ein­mal 9 km sind. Jeden Mor­gen fährt Emma 24 km in die Stadt, genießt dafür aber am Woch­enende die schöne Land­luft. Kleinere Aus­flüge machen Doreen und Alex fast jedes Woch­enende. Mal geht‘s mit den Kindern ins Schwimm­bad (1,8 km) oder in die Stadt (4,3 km). Ganz sel­ten fährt Aydin mal mehr als 31 Kilo­me­ter in das Erleb­nis­bad. Seit Julias Mann seine eigene Prax­is in der Stadt hat, fährt Jen­ny die Kinder mor­gens in die Schule, holt Max vom Fußball ab und geht zwei bis drei mal pro Woche in der Stadt einkaufen. Da kommt er schnell mal auf 12 bis 15 km am Tag. Die meiste Zeit ste­ht Monas Auto aber in der Garage, auf dem Hof oder wartet auf dem Firmenparkplatz..
Faz­it: Meine Sta­tis­ten fahren fast jeden Tag mit dem Auto, je nach Studie meist so um die 20 bis 60 km, die meis­ten unter ein­er Stunde. Manch­mal ist es auch ein biss­chen mehr, vielle­icht 80 km. Also ganz nor­mal, so wie ca. 80% der europäis­chen Bevölkerung — was allein in Deutsch­land einem Fahrzeugbe­stand von 34 Mil­lio­nen PKW entspricht.
Wenn es ein umweltscho­nen­des und nach­haltiges Fahrzeugkonzept gäbe, das 80 bis 120 km Reich­weite am Tag hätte, wäre das doch mehr als aus­re­ichend, oder..? Wäre dieses Konzept zusät­zlich auch noch emis­sions­frei, sauber und leise, z.B. mit Erneuer­baren Energien aus dem eige­nen Solar­Car­port ressourcenscho­nend und CO2-neu­tral zu laden, würde Abhängigkeit­en von der Tankstelle und insta­bilen Regio­nen min­dern und dann im Laufe der Zeit auch noch jedes Jahr, der Inno­va­tion­skraft unser­er Unternehmen sei Dank, eine immer größere Reich­weite haben, sowie zu guter Let­zt in der Anschaf­fung gün­stiger wer­den..? Das wäre dann wohl der Punkt, an dem viele wieder anfan­gen an den Wei­h­nachts­mann zu glauben..
So kön­nte man zumin­d­est meinen, wenn man die Medi­en­berichter­stat­tung und poli­tis­chen Debat­ten ver­fol­gt, die von ein­er Verun­sicherung großer Bevölkerung­steile sprechen und meist man­gels Erfahrung und aus Unwis­senheit die teils pro­tek­tion­is­tis­che Mei­n­ungs­mache annehmen. Nicht nur, dass sie viel zu teuer wären, son­dern auch, dass die Reich­weit­en über­haupt nicht aus­re­ichen. Das ist schw­er zu ver­ste­hen, haben wir doch ger­ade das Gegen­teil fest­gestellt. Die weni­gen Aus­nah­men län­ger­er Fahrstreck­en lassen sich ohne Prob­leme auch anders organ­isieren. Im Falle eines elek­tri­fizierten Zweit­wa­gens, wir sprechen von ca. 10 Mil­lio­nen PKW, zum Beispiel auch mit dem für ger­aume Zeit noch fos­silen Erst­wa­gen, der dem selb­ständi­gen Han­delsvertreter gehört, der zugegeben­er­maßen in naher Zukun­ft mit einem eFahrzeug noch nicht weit kommt. Das sind aber die wenig­sten. Die vom Bun­desver­band eMo­bil­ität avisierten 4,5 Mil­lio­nen Elek­troau­tos bis 2020 sind dem­nach reich­weit­en­tech­nisch über­haupt kein Prob­lem, entsprechen sie doch noch nicht ein­mal der Hälfte der Zweitwagen.
Die Renais­sance der Elek­tro­mo­bil­ität ste­ht am Anfang. In eini­gen Jahren sehen die Rah­menbe­din­gun­gen in punc­to Anschaf­fung­spreis und Reich­weite viel bess­er aus. Nicht dass das The­ma Reich­weite so wichtig wäre, aber im Rah­men des zu erwartenden tech­nol­o­gis­chen Fortschritts ein Effekt, der zusät­zliche Akzep­tanz und Sicher­heit bringt. Zudem erschließen sich mit sagen wir 20 km mehr Reich­weite pro Jahr bei sink­enden Bat­teriekosten, kürz­eren Ladezeit­en, ein­er flächen­deck­enderen Lade­in­fra­struk­tur und einem ins­ge­samt gerin­geren Anschaf­fung­spreis von anfänglich ca. 5 bis 10% pro Jahr per­ma­nent neue Nutzer­grup­pen, die die Vorteile einer
nach­halti­gen Mobil­ität in Kom­bi­na­tion mit gün­stigeren Ver­brauchs- und Unter­halt­skosten zu schätzen wis­sen. Speku­la­tio­nen über einen steigen­den Ölpreis braucht man an dieser Stelle für eine wirtschaftliche Betra­ch­tung noch nicht ein­mal bemühen.
Zum Glück gibt es bere­its heute genü­gend Ear­ly Adopters, die aus ver­schiede­nen Grün­den gewil­lt sind, Erste Flot­ten zu elek­tri­fizieren und sich an dem derzeit noch höheren Anschaf­fung­spreis nicht stören. Sie wollen Vor­re­it­er, Vor­bild und Weg­bere­it­er ein­er Neuen Mobil­ität zugle­ich sein. Wis­send, dass sich ihr grünes Invest vielfach auszahlen wird. Diese Elek­tro­mo­bil­isierung wird immer sicht­bar­er und umso real­is­tis­ch­er, wie geeignete För­der­möglichkeit­en ini­ti­iert wer­den, die die mon­etäre Dif­ferenz zwis­chen fos­silen und post­fos­silen Fahrzeu­gen immer klein­er wer­den lässt. Erst mit der Serien­pro­duk­tion wird Elek­tro­mo­bil­ität wirk­lich den erwün­scht­en Durch­bruch erzielen.
Wenn wir also wirk­lich wollen, dass unsere Mobil­ität zeit­nah nach­haltig wird, Kli­ma- und Umweltschutzpo­ten­tiale im Verkehr weltweit effek­tiv nutzbar gemacht wer­den, unsere Städte leis­er und sauber­er wer­den, die Ressourcen unser­er Welt geschont wer­den und wir durch den weit­eren Aus­bau zusät­zlich­er Erneuer­bar­er Energien unab­hängiger wer­den, dann gilt es nun, uns gemein­sam und entsch­ieden für eine Neue Mobil­ität einzuset­zen. Es gilt, unsere Auto­mo­bil­wirtschaft und die Poli­tik davon in Ken­nt­nis zu set­zen, dass wir nicht länger gewil­lt sind uns der Verzögerung und dem Pro­tek­torat ein­er fos­silen Elite unterzuordnen.
Da wir wis­sen, dass viele andere Län­der eben­falls die Vorteile und die Zukun­ft der eMo­bil­ität erkan­nt haben, bedeutet der Ein­satz für Elek­tro­mo­bil­ität auch, heimis­che Wertschöp­fungspoten­ziale und deutsche, bzw. europäis­che Arbeit­splätze zu schützen. Der Wet­t­lauf um mark­t­be­herrschende Posi­tio­nen hat bere­its begonnen und ist in vollem Gange. Sicher­lich ste­hen wir jet­zt auch nicht ganz schlecht da, aber Vor­re­it­er oder gar Leit­markt, wie die Bun­desregierung es wün­scht, sind wir derzeit nicht mehr. Gut, dass es zahlre­iche Forschungsini­tia­tiv­en auch in Deutsch­land gibt, die recht vielver­sprechende Ansätze zeigen. Den­noch ist seit­ens der Poli­tik ein viel größeres Engage­ment für Elek­tro­mo­bil­ität drin­gend gefordert. Ein­er­seits natür­lich weit­er­hin im Bere­ich Forschung und Entwick­lung, ander­er­seits müssen aber auch Kau­fan­reize gegeben werden.
Wir müssen jet­zt Elek­tro­fahrzeuge in großen Stück­zahlen auf die Straße brin­gen, um den Anschluss an einen gigan­tis­chen Wach­s­tums­markt nicht zu ver­lieren. Dieser Sys­temwech­sel muss aktiv unter­stützt und gefördert wer­den. Die poli­tis­che Ausrede auf die tech­nis­che Bere­itschaft und Ver­füg­barkeit der deutschen Auto­mo­bil­her­steller zu warten, kann hier nicht länger zielführend sein.
Einen intel­li­gen­ten Förder­ansatz haben wir bere­its mehrfach gefordert. 10.000 Euro je zur Hälfte an den Her­steller und an den Käufer — ini­tia­tiv für die ersten 250.000 Elek­troau­tos. Als Mark­tan­reizpro­gramm wer­den Käufer und Her­steller damit gle­icher­maßen unter­stützt. Hier im übri­gen auch die kleineren Mit­tel­ständler, die in der Regel von den großen Förder­sum­men gar nicht prof­i­tieren — aber erstaunlicher­weise ger­ade die ersten Fahrzeuge auf den Markt bringen.
An dieser Stelle möchte ich auch auf die bestürzende Sit­u­a­tion in Japan einge­hen und im Namen des gesamten BEM unser­er tief emp­fun­de­nen Anteil­nahme Aus­druck verleihen.
Die katas­trophalen Natur­ereignisse und das atom­are Desaster sind ein viel zu hoher Preis für einen Kur­swech­sel in der Atom­poli­tik. Ich hoffe, diese furcht­bare Tragödie gedenkt der unzäh­li­gen Opfer zumin­d­est damit, dass sich alle Staat­en dieser Erde für den zügi­gen, weit­eren Aus­bau nach­haltiger Energien aussprechen und ihre Atom­am­bi­tio­nen grundle­gend überdenken.
Edi­to­r­i­al von Chris­t­ian Heep, Vor­stand Mar­ket­ing im Bun­desver­band eMo­bil­ität und Chefredak­teur der NEUEN MOBILITÄT / Aus­gabe 03 / April 2011

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