Kleines schlaues Netz

Dass Elek­troau­tos nur dann wirk­lich umwelt­fre­undlich sind, wenn sie mit »Grün­strom« aufge­laden wer­den, dürfte inzwis­chen hin­länglich bekan­nt sein. Doch Erneuer­bare Energien haben ihre Tück­en. Ent­ge­gen der klas­sis­chen Struk­tur von Strom­net­zen, die eine bedarf­s­gerechte Ein­speisung auf Hochspan­nungsebene vor­sieht, speisen vor allem Pho­to­voltaikan­la­gen oft auf Nieder­span­nungsebene ein. Bedarf oder nicht, es wird einge­speist und bringt so den einen oder anderen Net­z­knoten durcheinan­der. Hinzu kommt die Frage, welchen Strom man ger­ade tankt, wenn das Elek­troau­to erst abends angeschlossen wird. Der Solarstrom aus der Mit­tagszeit ist dann schon längst eingespeist.
Es geht also um mehr, als nur darum, Autos mit eMo­toren auszus­tat­ten und Solaran­la­gen aufzustellen. Zusam­men mit ein­er intel­li­gen­ten Steuerung und Spe­ich­er­sys­te­men müssen Elek­tro­mo­bil­ität und Energiev­er­sorgung zukün­ftig als ein­heitlich­es Ganzes betra­chtet wer­den. Abgeschlossene Verteil­net­ze eignen sich beson­ders, um solche sys­temis­chen Ansätze zu unter­suchen. In intel­li­gen­ten Miniatur­net­zen wer­den die Ver­brauch­er und Erzeuger so miteinan­der in Ein­klang gebracht, dass sich ihr Ein­fluss im über­ge­ord­neten Netz kaum noch bemerk­bar macht. Soweit die The­o­rie. Doch auf dem EUREF-Cam­pus am ehe­ma­li­gen Gas­om­e­ter in Berlin-Schöneberg wird heute schon real aus­pro­biert, was ander­norts bish­er nur simuliert wer­den kon­nte. Zusam­men mit Part­nern aus Wirtschaft und Forschung hat das Inno­va­tion­szen­trum für Mobil­ität und gesellschaftlichen Wan­del (InnoZ) in Berlin unter dem Namen Micro Smart Grid (MSG) ein solch­es Netz aufgebaut.
Ein 630 kVA Trafo bildet die Verbindung zum Ort­snetz. Jen­seits dieser Schnittstelle stellen aktuell drei Pho­to­voltaikan­la­gen mit zusam­men 53,5 kWp, fünf ver­tikale City-Win­dräder à 1.000 W, zwei kleine Block­heizkraftwerke, eben­falls à 1.000 W und eine »Net­zpuffer­bat­terie« mit 150 kWh Kapaz­ität die Energie für dieses intel­li­gente Strom­netz bere­it. Eine Elek­trotankstelle mit Ladesäulen unter­schiedlich­ster Bauart hat das Poten­zial für bis zu 29 zeit­gle­iche Lade­vorgänge. Zudem dient die Anlage als Liv­ing Lab für Mes­sun­gen und Nutzer­be­fra­gun­gen. Ver­schiedene Elek­troau­tos, eine Sta­tion von e‑Flinkster, dem Elek­tro-Car­shar­ing der Deutschen Bahn, sowie die Kli­mat­e­ch­nik für den Ver­anstal­tungs­bere­ich im ehe­ma­li­gen Gas­om­e­ter, sind die Ver­brauch­er in diesem Sys­tem. Seit Inbe­trieb­nahme des MSG im März 2012 kon­nten bere­its mehr als 18.000 kWh Strom CO2-neu­tral pro­duziert wer­den — genug um ein Elek­troau­to des Typs Cit­roën C‑Zero über tausend­mal zu laden.
Das Herzstück des MSG bildet die Energieleit­warte, ein gläsern­er Raum auf der Plat­tform elek­tro­Mo­bil­ität im InnoZ. Denn im MSG wird jede einzelne Kom­po­nente wie Ladesäulen oder Solaran­la­gen mit Smart Metern aus­ge­le­sen und in der Energieleit­warte durch die Auf­bere­itung der Net­zge­sellschaft Berlin-Bran­den­burg (NBB) entsprechend visu­al­isiert. Auf zwei Bild­schir­men kön­nen die realen Dat­en, die wenige Meter ent­fer­nt gesam­melt wer­den, auf­bere­it­et und grafisch dargestellt wer­den. Besuch­er, denen das noch zu the­o­retisch ist, kön­nen an einem Mul­ti­touchtisch mit inter­ak­tiv­en »Bauk­lötzen«, der wie ein überdi­men­sion­ales iPad anmutet, die Funk­tion­sweise eines Smart Grids spielerisch erkun­den. Legt man z.B. mehr »Wind-Bausteine« auf den Tisch, so wer­den die Auswirkun­gen des Aus­baus der Winden­ergie in Echtzeit berech­net und durch dynamis­che Visu­al­isierun­gen dargestellt. Alles auf Basis real­er Energie- und Wetterdaten.
Doch das MSG ist mehr als nur eine Demon­stra­tion. Es ist Teil des vom Bun­desverkehrsmin­is­teri­um (BMVBS) geförderten Pro­jek­tes Berlin elek­tro­mo­bil 2.0, kurz: »BeMo­bil­i­ty 2.0«, das region­al von der TSB Inno­va­tion­sagen­tur Berlin und über­ge­ord­net von der Nationalen Organ­i­sa­tion Wasser­stoff- und Brennstof­fzel­len­tech­nolo­gie (NOW) koor­diniert wird. Die Pro­jek­t­part­ner Schnei­der Elec­tric und Tech­nis­che Uni­ver­sität Berlin entwick­eln dabei eine Daten­bank mit ler­nen­den Algo­rith­men, welche die Grund­lage für ein sich selb­st opti­mieren­des Sys­tem darstellt. Verän­dert sich der Zus­tand des Net­zes, z.B. durch den Anschluss eines Elek­troau­tos an die Lade­in­fra­struk­tur oder eine plöt­zliche Energiespitze durch die Solaran­la­gen, wird augen­blick­lich der neue Ide­alzu­s­tand für das MSG errech­net und die entsprechen­den Sig­nale und Impulse an die einzel­nen Kom­po­nen­ten gesendet. Eine Groß­bat­terie als Zwis­chen­spe­ich­er wird bald ermöglichen, die meis­ten Last- und Erzeu­gungsspitzen so auszu­gle­ichen, dass der regen­er­a­tiv erzeugte Strom auss­chließlich für die Bin­nen­ver­sorgung im MSG genutzt und nicht ins über­ge­ord­nete Netz abgegeben wer­den muss.
Dies ist jedoch erst der Anfang. Die Schaufen­ster Elek­tro­mo­bil­ität der Bun­desregierung sollen die neue Mobil­ität (er)fahrbar machen und Deutsch­lands Rolle als Leit­markt zeigen. Mit der Förderung von vier beteiligten Bun­desmin­is­te­rien wird das MSG ab Herb­st 2012 aus­ge­baut und weit­er­en­twick­elt. Qual­ität und Quan­tität wer­den gle­icher­maßen gesteigert. Neue Ver­brauch­er — wie intel­li­gente Gebäude oder weit­ere Elek­troau­tos — ver­lan­gen nach mehr erneuer­bar­er Ein­speisung und Spe­ichertech­nolo­gien. Vehi­cle to Grid, also die Rück­speisung von Strom aus dem Auto und entsprechende Geschäftsmod­elle, wer­den in diesem geschützten Raum konzip­iert und im »Liv­ing Lab« aus­pro­biert. Sog­ar der net­zun­ab­hängige Betrieb des MSG soll erprobt wer­den. Im Ergeb­nis wird so viel Energie wie möglich lokal ver­braucht bzw. gespe­ichert, während die Schnittstelle zur Außen­welt — der Trafo — nur noch als eine Art »Range Exten­der« für das Micro Smart Grid dient.
Es bleibt also span­nend, wie das InnoZ mit seinen Part­nern auf der Plat­tform elek­tro­Mo­bil­ität mod­ell­haft die eigene Energie- und Verkehr­swende umset­zt. Dann fahren die Elek­tro­fahrzeuge zukün­ftig wirk­lich mit Null Gramm CO2 pro Kilo­me­ter vom Campus.
Fabi­an Reetz
Plat­tform elektroMobilität
Inno­va­tion­szen­trum für Mobil­ität und gesellschaftlichen Wan­del (InnoZ) GmbH
www.innoz.de

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