BEM-Pressehinweis: Interview mit Prof. Dr. Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugtechnik an der TU München

27. Mai 2020 / Prof. Markus Lienkamp, Bil­drechte: Prof. Markus Lienkamp
Das E‑Auto ist alter­na­tiv­los, wenn es um das Ziel geht, bis 2030 CO2-neu­trale Autos zu nutzen, sagt Markus Lienkamp, Pro­fes­sor für Fahrzeugtech­nik an der TU München und Mit­glied des wis­senschaftlichen Beirats des Bun­desver­ban­des eMo­bil­ität BEM in einem Inter­view mit der Wirtschaftswoche. Sein Gegen­vorschlag soll nicht kurz‑, son­dern langfristig wirken und neben der Autoin­dus­trie Handw­erk­er und Mit­tel­ständler in der Krise fördern.
WirtschaftsWoche: Nach­dem der Bund eine Entschei­dung über Staat­shil­fen für die Autoin­dus­trie vertagt hat, geht die Diskus­sion darüber, was die richtige Maß­nahme wäre, weit­er. Am lautesten wer­den Kauf­prämien disku­tiert. Eine gute Idee?
Markus Lienkamp: Meine Befürch­tung ist, dass das nicht zu echt­en Mehrkäufen führt, son­dern geplante Käufe ver­schoben wer­den. Natür­lich führt das kurzfristig zu einem Boom, möglicher­weise ziehen Ver­brauch­er ihren für später geplanten Autokauf vor. Gle­ichzeit­ig ist es so: Wenn zu lange über mögliche Kauf­prämien disku­tiert wird, warten alle, weil sie diese mit­nehmen wollen. Sie kaufen vor­erst nicht. Insofern sollte sich die Poli­tik in jedem Fall schnell posi­tion­ieren – egal, wie die Entschei­dung aus­fällt. Die sich in die Länge ziehende Diskus­sion schadet wom­öglich am meisten.
Das ist für mich keine Investi­tion – das ist Quatsch.
WirtschaftsWoche: Das heißt, Kauf­prämien hal­ten Sie grund­sät­zlich für den falschen Ansatz zur Förderung? Auch Vorschläge, wie etwa nur Elek­troau­tos und Hybride zu fördern?
Markus Lienkamp: Wir haben jet­zt bere­its 4000 Euro Förderung für Elek­tro­fahrzeuge und die Auto­mo­bil­her­steller müssen ohne­hin einen gewis­sen Anteil an E‑Autos verkaufen. Ob ich jet­zt eine Kauf­prämie mache oder nicht – das ist vol­lkom­men egal. Die Auto­bauer haben mit den 95 Gramm im Durch­schnitt pro Auto in der Flotte eine CO2-Vor­gabe, die nur einzuhal­ten ist, wenn ein bes­timmter Flot­ten­mix verkauft wird. Wenn wir jet­zt Elek­troau­tos zusät­zlich mit 3000, 6000 oder 8000 Euro fördern, führt das nur dazu, dass die Her­steller in Deutsch­land mehr E‑Autos verkaufen, weil es eine höhere Förderung gibt. Im Rest von Europa wür­den sie allerd­ings – weil die Flot­ten­mix-Auflage ja für den EU-weit­en Verkauf gilt – genau die Zahl Elek­troau­tos, die in Deutsch­land mehr verkauft wür­den, weniger auf den Markt brin­gen. Das ist ein kom­plettes Null­sum­men-Spiel für das viel Geld vom Bund draufge­ht. Da glaube ich, fördern wir in Deutsch­land falsch. Das ist für mich keine Investi­tion – das ist Quatsch. Eine Kauf­prämie für Autos fördert zudem schlichtweg Kon­sum. Und ich halte es grund­sät­zlich für wichtig, dass die Hil­f­spro­gramme, die die Bun­desregierung auflegt, eher die Infra­struk­tur, sprich langfristig nach­haltige Konzepte, begünstigt.
WirtschaftsWoche: Haben Sie einen konkreten Vorschlag?
Markus Lienkamp: Von den drei alt­bekan­nten Prob­le­men der Elek­troau­tos – Reich­weite, Preis, Lade­in­fra­struk­tur – sind zwei mit­tler­weile einiger­maßen aus­ge­merzt: Die Autos haben eine vernün­ftige Reich­weite. Sie sind zumin­d­est halb­wegs bezahlbar, wenn ich etwa auf VWs ID.3 oder einen Renault Zoe blicke. An der Lade­in­fra­struk­tur scheit­ert der Durch­bruch der Elek­tro­mo­bil­ität bis­lang. Da haben wir in Deutsch­land eine katas­trophale Sit­u­a­tion. Es gibt ins­ge­samt zu wenige Ladesäulen, die Kosten der Anschaf­fung und des Ladens sind häu­fig unver­hält­nis­mäßig. Zu Hause kön­nen aus vie­len Grün­den viele keine Ladesta­tion instal­lieren. Da müssen wir anpack­en. Wenn wir jet­zt die Lade­in­fra­struk­tur fördern, haben wir nicht nur kurzfristig, son­dern mit­tel- und langfristig pos­i­tive Effek­te für die Autoin­dus­trie – und im Kern die Elektromobilität.
Ich glaube, dass wir stärk­er fördern müssen, dass Pri­vat­per­so­n­en zu Hause laden können.
WirtschaftsWoche: Das BMVI hat ger­ade den mit­tler­weile fün­ften Aufruf zur Förder­richtlin­ie „Lade­in­fra­struk­tur für Elek­tro­fahrzeuge in Deutsch­land“ ges­tartet, wobei die Errich­tung von bis zu 10.000 Nor­mal- und Schnel­l­ladepunk­ten gefördert wird. Der Bund übern­immt 50 Prozent der Kosten für Kom­munen und pri­vat­en Inve­storen, wenn die Ladepunk­te öffentlich zugänglich sind. Das scheint noch nicht genug zu motivieren. Was für Anreize kön­nten den Effekt aus­lösen, den Sie sich von ein­er entsprechen­den Prämie erhoffen?
Markus Lienkamp: Ich würde woan­ders anset­zen wollen. Ich glaube, dass wir stärk­er fördern müssen, dass Pri­vat­per­so­n­en zu Hause laden kön­nen. Das ist der Schlüs­sel. Der Auto­mo­bil­her­steller muss eine Moti­va­tion haben, dass er dem Kun­den dabei hil­ft, eine Ladesta­tion daheim einzuricht­en. Bekäme der Auto­bauer Geld für jede Ladesäule, die errichtet wird, – in Form ein­er staatlichen Förderung – wird es für das Unternehmen steuer­lich attrak­tiv. Das förderte dop­pelt die Moti­va­tion: Er bekommt Geld vom Staat dafür, dass er die Ladesta­tion baut – und ver­di­ent an dem Verkauf. Auch als Kred­it wäre das denkbar: Der Auto­bauer bekommt Summe X als Liq­uid­itätsspritze dafür, dass er in den näch­sten fünf Jahren eine gewisse Zahl an Ladesäulen baut. Dies dürfte die Auto­bauer motivieren, mehr Arbeit in den E‑Autoverkauf und den Aus­bau der Ladesäu­len­in­fra­struk­tur zu investieren.
WirtschaftsWoche: Und Sie glauben, das kön­nte die Autoin­dus­trie ähn­lich gut in dieser Krise stützen, wie die vom VDA geforderte Kaufprämie?
Markus Lienkamp: Diese Kauf­prämie ist doch eine Mogel­pack­ung. Im Moment gilt: Der Auto­bauer zahlt die eine, der Staat die andere Hälfte. Der Auto­bauer zahlt dann de fac­to gar nichts, weil er seinen Anteil auf den Auto­preis vorher drauf­schlägt. Und der Staat gibt die Hälfte dazu, wenn man sich durch den aufwändi­gen Antrags­for­mu­lar-Dschun­gel gekämpft hat. Viel weniger zahlt der Kunde am Ende tat­säch­lich dann doch nicht. In dem Moment, in dem ich das Geld direkt an den Auto­bauer gebe, hat der einen ganz anderen Hebel und das Geld eine ganz andere Wirkung.
WirtschaftsWoche: Und zwar?
Markus Lienkamp: Grob kann man rech­nen: Wenn der Auto­mo­bil­her­steller ein Auto verkauft, hat er Selb­stkosten von 100 Prozent, die entste­hen bis das Fahrzeug das Werk­stor ver­lässt. Danach kom­men Händler­marge, Mehrw­ert­s­teuer, Ver­trieb, Mar­ket­ing und Ähn­lich­es oben drauf, sodass sich der Preis let­ztlich fast ver­dop­pelt. Diesen Preis würde der Staat dann mit ein­er Kauf­prämie reduzieren. Wenn der Bund aber prak­tisch dem Auto­bauer direkt für eine Investi­tion beispiel­sweise 2000 Euro gibt, kann der durch die weg­fal­l­en­den Down­stream-Kosten indi­rekt dem Kun­den einen Vorteil von 4000 Euro ver­schaf­fen. Damit bringt die Förderung wesentlich mehr. Aus staatlich­er Sicht klingt das vielle­icht weniger attrak­tiv, weil die Steuern ver­loren gehen. Aber eine direk­te Förderung für den Auto­mo­bil­her­steller anstelle des Kun­den ist günstiger.
WirtschaftsWoche: Die Aut­o­fahrer macht man damit aber zunächst nicht glücklich.
Markus Lienkamp: Das ist richtig. Der Kunde hätte das Geld sich­er lieber selb­st in der Hand, als dass der Auto­bauer es bekommt. Das ist ein emo­tionales The­ma an dieser Stelle. Aber auch nach diesem Prinzip würde let­ztlich der Kunde prof­i­tieren, weil er die Ladesäule wom­öglich geschenkt bekommt, wenn der Auto­bauer sie mit dem Auto mit anbietet.
WirtschaftsWoche: Es sind aber nicht alle Auto­bauer gle­ich aktiv im E‑Au­to-Markt. Nicht alle Unternehmen wür­den gle­ich­stark von ein­er solchen Förderung profitieren.
Markus Lienkamp: Der VW-Konz­ern würde garantiert prof­i­tieren, da er eine klare Elek­tro-Strate­gie hat. BMW und Daim­ler fahren zwar eine stärkere Plug-in-Strate­gie, kön­nten aber eben­falls ihren Nutzen daraus ziehen. Der Vor­wurf an die Plug-in-Mod­elle ist ja, sie wür­den sel­ten bis nie geladen und somit kaum elek­trisch genutzt. Ist die Möglichkeit zum Laden ein­fach­er, kön­nte dieser Vor­wurf aus­ge­bremst wer­den. Toy­ota hat nicht so viel davon, weil sie mehr auf Hybrid set­zen. GM, Ford, PSA und Fiat-Chrysler haben so gut wie nichts davon, weil sie keine gescheite Elek­tros­trate­gie haben. Das bein­hal­tet also gle­ich einen schö­nen Effekt: Es wür­den eher die deutschen Auto­bauer gefördert als die ausländischen.
WirtschaftsWoche: Wom­it ein weit­er­er Kri­tikpunkt an der Kauf­prämie für alle Autos aus­ge­he­belt wäre…
Markus Lienkamp: Richtig. Denn bei der Abwrack­prämie vor zehn Jahren zeigte sich, dass vor allem die bil­li­gen Aus­län­der gekauft wor­den sind. Autos, bei denen man sagte, das war es jet­zt auch nicht, was wir brauchten.
Das Inter­view wurde bei wiwo.de veröffentlicht
Zeit­gle­ich zum Inter­view veröf­fentlichte Prof. Lienkamp und Team ein Buch mit dem Titel: Sta­tus Elek­tro­mo­bil­ität 2020 — Das End­spiel nach der Corona-Krise.
Hier kön­nen Sie das Buch ein­se­hen unter fol­gen­dem Link
Über den Bun­desver­band eMo­bil­ität e.V.
Der Bun­desver­band eMo­bil­ität (BEM) ist ein Zusam­men­schluss von Unternehmen, Insti­tu­tio­nen, Wis­senschaftlern und Anwen­dern aus dem Bere­ich der Elek­tro­mo­bil­ität, die sich dafür ein­set­zen, die Mobil­ität in Deutsch­land auf Basis Erneuer­bar­er Energien auf Elek­tro­mo­bil­ität umzustellen. Zu den Auf­gaben des BEM gehört die aktive Ver­net­zung von Wirtschaft­sak­teuren für die Entwick­lung nach­haltiger und inter­modaler Mobil­ität­slö­sun­gen, die Verbesserung der geset­zlichen Rah­menbe­din­gun­gen für den Aus­bau der eMo­bil­ität und die Durch­set­zung von mehr Chan­cen­gle­ich­heit bei der Umstel­lung auf emis­sion­sarme Antrieb­skonzepte. Der Ver­band wurde 2009 gegrün­det. Er organ­isiert 300 Mit­glied­sun­ternehmen, die ein jährlich­es Umsatzvol­u­men von über 100 Mil­liar­den Euro verze­ich­nen und über eine Mil­lion Mitar­beit­er weltweit beschäftigen.
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