Die Mobilitätswende

Gut 100 Jahre prägt das Auto unsere Städte, ohne sich ihnen anzu­passen. Es gilt noch als Frei­heitsver­sprechung: schnell, hohe Reich­weite, geräu­mig, für alle Mobil­itätswün­sche gerüstet. Die Real­ität sieht so aus: Verkehrslärm, Emis­sio­nen, ver­stopfte Verkehr­swege. Dro­hen­der Verkehrsin­farkt statt freie Fahrt. Durch­schnit­tlich ver­brin­gen wir jährlich 58 Stun­den im Stau, Fahrt und Park­platz­suche sind Stress. Die Autoin­dus­trie ste­ht angesichts erforder­lich­er Verän­derun­gen vor großen Her­aus­forderun­gen. Für den »Ausstieg aus der Fos­silen­ergie« fehlt ihr nicht zulet­zt wegen der guten Geschäft­slage die Moti­va­tion. Auch die Poli­tik zögert noch, der Mobil­itätswende den Weg zu ebnen. Ein Grund mag im befürchteten Absinken der Min­er­alöl­s­teuere­in­nah­men liegen, mit über 40 Mil­liar­den Euro drittgrößter Steuer­hap­pen, ein Ander­er die Angst um Arbeit­splätze in Deutsch­lands Autoindustrie.
Die Mobil­itätswende wäre jedoch eben­so wichtig, wie die Energiewende. So schmer­zlich der zu fordernde Abschied von der fos­silen »Ren­nreise­lim­ou­sine« auch sein mag: Wir gewän­nen Leben­squal­ität. Mobil­ität, auch in Form indi­vidu­eller Mobil­ität, bliebe erhal­ten und bezahlbar.
Mit dem Pro­jekt »EQ — Ultra­le­icht­fahrzeug für den urba­nen Raum« will ich zusam­men mit Berlin­er und Bran­den­burg­er Fir­men und dem Net­zw­erk­man­age­ment des auto­mo­tive Berlin­Bran­den­burg e.V. meinen Beitrag zu dieser Mobil­itätswende leis­ten. Das Pro­jekt wurde Teil der Berlin­er Schaufen­ster­be­wer­bung Elek­tro­mo­bil­ität. Eine erste Förderung des BMWi ist bewilligt.
Anhand der bere­its erprobten EQ-Tech­nik möchte ich exem­plar­isch das Ver­ständ­nis für Merk­male ein­er neuen, effizien­ten Fahrzeuggen­er­a­tion ver­tiefen, die sich an städtis­che Bedin­gun­gen anpasst, für mul­ti­modale Sys­teme prädes­tiniert ist, eine Größenord­nung weniger Ressourcen und Energie ver­braucht und nur ein Vier­tel der Verkehrs­fläche beansprucht. Der EQ ist ein Vertreter kom­pak­ter »Metro-Style«-Fahrzeuge, die sich eben­so fun­da­men­tal von klas­sis­chen Autos unter­schei­den, wie vom Kon­ver­sions-Elek­troau­to und die zu einem har­monis­chen Miteinan­der urbaner Verkehrsteil­nehmer beitra­gen können.
Eine Ori­en­tierung an PS-Leis­tung (der heute hierzu­lande verkaufte Pkw besitzt bere­its durch­schnit­tlich 138 PS), an Höch­st­geschwindigkeit und Reich­weite statt an ein­satzgerecht­en Eigen­schaften ver­hin­derte bis­lang ein tief­eres Ver­ständ­nis für die Imp­lika­tio­nen Neuer Mobil­ität und ver­stellt den Blick auf die vielfälti­gen Möglichkeit­en intel­li­gen­ter Verbundsysteme.
Die Bat­terie — ungenü­gend ist gut
Haupthemm­nis für den Elek­troantrieb klas­sis­ch­er Pkw ist die geringe Energiedichte und der hohe Preis heutiger Bat­te­rien. 15 — 30 kW/100 km Energie­ver­brauch führt zu mehreren 100 kg schw­eren Bat­terie-Mon­stern zum Preis eines Klein­wa­gens. Tat­säch­lich sind die Bat­te­rien für diesen Ein­satz noch ungenü­gend. Spornen uns die ver­füg­baren Bat­te­rien an, leichtere und effizien­tere Fahrzeuge zu bauen, so hat dieses »Ungenü­gend« viel Gutes und hil­ft uns, das Auto neu zu erfind­en. Neben­bei sub­sti­tu­ieren wir nicht nur Ben­zin durch Strom, son­dern gewän­nen ein gewiss­es Maß an Unab­hängigkeit von den vier beherrschen­den Strom­liefer­an­ten: Fahrstrom ließe sich regen­er­a­tiv lokal oder gar selb­st erzeu­gen. Benötigt ein Fahrzeug nur wenige kW, wird die Bat­terie bezahlbar, ja sog­ar trag­bar und an jed­er Steck­dose auflad­bar (Beispiel EQ: 2 kW/100 km, Bat­teriekof­fer 12 kg). Die teure öffentliche Lade­in­fra­struk­tur mit ihren vie­len ungek­lärten Fra­gen ver­löre an Bedeutung.
Der Antrieb — klas­sisch oder modern
Bis heute wer­den Autos um den Antrieb­sstrang herum gebaut — ein Grund für hohes Gewicht und ver­traute Optik. Natür­lich liegt es nahe, den Ver­bren­nungsmo­tor durch einen zen­tralen Elek­tro­mo­tor zu erset­zen. Der Antrieb­sstrang und das Fahrw­erk blieben weit­ge­hend unverän­dert und es entste­hen Mod­el­l­vari­anten mit alter­na­tivem Antrieb. Die Vorzüge des Elek­troantriebs wer­den so jedoch nicht annäh­ernd aus­geschöpft. Wan­dert der Antrieb in die Räder, ent­fall­en Gelenkwellen, Dif­fer­en­tial und Getriebe. Das Fahrw­erk fällt ein­fach­er aus und die kom­pak­tere Karosserie erfüllt nur noch Halte- und Schutz­funk­tion. Häu­fig wird gegen dieses eigentlich nahe­liegende Konzept eingewen­det, dass schwere Räder und hohe ungefed­erte Masse die Fahreigen­schaften ver­schlechtern (immer­hin wird dabei mal das Gewicht hin­ter­fragt). Dass es auch anders geht, zeigt der EQ: ein rad­in­te­gri­ert­er Direk­tantrieb erhöht durch eine neuar­tige schwingfähige Kon­struk­tion das Radgewicht nur um ca. 4 kg (Schutzrechte beim Autor).
Elek­trotech­nik und Elektronik
Ein Leicht­fahrzeug benötigt für gute Fahrleis­tun­gen licht­maschi­nen­große Elek­tro­mo­toren im kW-Bere­ich. Der Ein­satz sel­tener Erden (Neodymi­um u.a.) im Mag­net­sys­tem ist in dieser Motoren­klasse vertret­bar. Wer­den Elek­tro­mo­toren der 100 kW-Klasse damit aus­gerüstet, führt dies eben­so zu einem Raub­bau an Boden­schätzen, wie die Erdölförderung. Mod­erne Elek­tro­mo­torkonzepte, vor allem hochef­fiziente Syn­chron­maschi­nen, benöti­gen eine robuste Steuerelek­tron­ik. Mit steigen­der Motor­leis­tung sind höhere Span­nun­gen und Ströme zu man­a­gen — teurere und volu­minösere Leis­tungs­bauteile sind die Kon­se­quenz. Die Motor-Elek­tron­ik für Kon­ver­sions­fahrzeuge fällt deswe­gen min­destens aktenkof­fer­groß und schw­er aus. Leicht­fahrzeuge hinge­gen kom­men mit handtel­ler­großen Steuerg­eräten aus und benöti­gen nicht den umfassenden Hoch­voltschutz. Das Ressourcen- und Energi­ethe­ma zieht sich so durch die gesamte Tech­nik der Fahrzeuge und bes­timmt auch den CO2-Ausstoß in der Fertigung.
Gewicht und Größe — eine Frage der Sicherheit?
Man­gel­nde Sicher­heit ist das Argu­ment gegen Leicht­fahrzeuge, das ich stets höre. Einige Denkanstöße: City­fahrzeuge benöti­gen andere Sicher­heit­skonzepte, als schnelle Langstreck­e­nau­tos. U.a. geht es in der City um Pas­san­ten und Rad­fahrerschutz, der auf Auto­bah­nen ent­fällt. Auch ist längst bewiesen, dass Sicher­heit anders als durch Stahl und üppige Knautschzo­nen erre­ich­bar ist, etwa durch zähe­lastis­che Ver­bund­stoffe, Sand­wichele­mente, andere Geome­trien und Chas­siskonzepte. Ein Beispiel hier­für sind die Formel 1‑Boliden, die höch­stes Sicher­heit­sniveau erre­ichen und die Hälfte eines aktuellen Klein­wa­gens wiegen. Die Sicher­heit eines kom­pak­ten Innen­raumes für ein bis zwei Per­so­n­en, intel­li­gent kon­stru­iert, ist ein­fach­er zu real­isieren, als der Schutz von vier oder fünf Insassen. Außer­dem sind die Bew­er­tungskri­te­rien für Sicher­heit zu hin­ter­fra­gen; die NCAPTests sind teils prax­is­fern. Es kön­nte bei City­fahrzeu­gen auch um eine Robus­theit gehen, die Repara­turen kleiner­er Unfall­fol­gen nicht Tausende kosten ließe, etwa durch Poly­car­bon­atverklei­dun­gen — auch eine Form von Ressourcenschutz.
Die zu fordernde Mobil­itätswende wäre eine radikale Umkehr und ist zunächst als Extrem­szenario zu ver­ste­hen. Dage­gen ste­ht der evo­lu­tionäre Weg ein­er allmäh­lichen und teil­weisen Sub­sti­tu­tion des fos­silen Antriebs. In der Prax­is wird sich ein Mit­tel­weg ergeben. Sie mögen sich selb­st eine Mei­n­ung bilden, welche Rich­tung zukun­ftsweisend ist, oder eigene Szenar­ien erdenken.
Hans-Jür­gen Esch
Erfind­er, Entwick­ler, Kon­struk­teur und Berater im Bere­ich Elektromobilität
Inhab­er der Esch Pro­jekt Sys­te­men­twick­lung Berlin
www.esch.pro.com

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