Die Mobilitätswende sozial verträglich gestalten

24. Juli 2020 / Artikel erschienen in der Wirtschaft­szeitung / Gespräch mit Dr. oec. Hans-Peter Klee­binder, Stu­di­en­leit­er für Smart Mobil­i­ty Man­age­ment an der Exec­u­tive School Uni­ver­sität St. Gallen und Fach­beirat im Bun­desver­band eMo­bil­ität e. V.
Die Gold­e­nen und tur­bu­len­ten 20er-Jahre des ver­gan­genen Jahrhun­derts waren von Tech­nik und Wis­senschaft geprägt. Herr Dok­tor Klee­binder, geht es nicht heute bei Mobil­ität neben der physis­chen auch um die geistige Beweglichkeit?
Dr. Hans-Peter Klee­binder: Da stimme ich Ihnen zu und ergänze die soziale Mobil­ität, die Durch­läs­sigkeit in unser­er Gesellschaft, die durch Zugang zu Bil­dung und Wis­sen, aber auch durch Reisen geprägt ist. Diese physis­che, geistige und soziale Mobil­ität bringt Inno­va­tio­nen her­vor. Es geht jet­zt aber darum, nicht das tech­nisch Mach­bare zu erfind­en, son­dern Inno­va­tio­nen und Fortschritt sozial verträglich zu gestal­ten, uns Men­schen mitzunehmen und radikal in den Mit­telpunkt zu stellen.
Auf welche Art der Mobil­ität wird es in Zukun­ft angesichts zunehmender Glob­al­isierung vor allem ankommen?
Eine intel­li­gente Mobil­ität, die den Spa­gat zwis­chen dem ökonomis­chen und dem ökol­o­gis­chen Fußab­druck meis­tert. Unsere Mobil­ität darf nicht mehr zu Las­ten der Umwelt erkauft wer­den. Und nicht das Priv­i­leg einiger weniger wer­den, die sich indi­vidu­elle Mobil­ität noch leis­ten kön­nen. Das Auto wird Trans­port­mit­tel für Men­schen und Güter neben vie­len anderen Alternativen.
Sie kom­men vom Auto­mo­bil, waren bei BMW, Audi und über zehn Jahre für die Marke Mini in lei­t­en­der Posi­tion tätig. Was haben Sie ins Heute rübergerettet?
Mobil­ität ist ein men­schlich­es Grundbedürf­nis und dabei kul­turell sehr unter­schiedlich beset­zt. Als Grund­lage der per­sön­lichen Autonomie bere­ichert Mobil­ität das Leben und steigert unsere Lebensqualität.
Sie wer­den nicht müde, Ihre Posi­tion als „unab­hängiger Experte“ für Smart Mobil­i­ty her­vorzukehren. Was ver­ste­hen Sie unter „smart“?
Wir wollen Mobil­ität von Men­schen, Gütern und Dat­en als wichtige Grund­lage für unsere Leben­squal­ität gestal­ten. Dabei sind wir neu­tral und unab­hängig. Es geht nur, wenn wir unab­hängig und verkehrsmit­telüber­greifend denken und han­deln. Es geht nicht darum, was tech­nisch möglich ist und max­i­male Ren­dite bringt, son­dern um neue Ansätze und Geschäftsmod­elle, die von Kun­den genutzt wer­den und sich rechnen.
Was kann Europa, speziell Deutsch­land tun, um vielle­icht sog­ar gestärkt aus der Coro­n­akrise hervorzugehen?
Covid-19 wirkt nach und mit Elon Musk mit Tes­la und der Diesel­gateKrise wie ein Ver­stärk­er und Beschle­u­niger für die Notwendigkeit des Umdenkens und Wan­dels. Jet­zt ist die aus mein­er Sicht let­zte Chance, die Trans­for­ma­tion unser­er Leitin­dus­trie umzuset­zen und eine ganzheitliche Mobil­itätswende Hand in Hand mit ein­er Energiewende umzuset­zen. Dafür müssen wir jet­zt mutig die Ärmel hochkrem­peln und brauchen als Grund­lage einen Mas­ter­plan Mobilitätswende.
Welche Bausteine sind nötig, um die Wende tat­säch­lich umzusetzen?
Mobil­ität ist und bleibt Motor und Grund­lage unser­er Wirtschaft und unseres Wohl­standes. Neben neuen Antrieben wird die Mobil­ität von Dat­en eine zunehmend wichtige Rolle spie­len. Physis­che Mobil­ität wird dabei ergänzt und teil­weise erset­zt durch dig­i­tale Mobil­ität. Nach der durch Covid-19 erzwun­genen Dig­i­tal­isierung unser­er Kom­mu­nika­tion durch Videokon­feren­zen und Arbeitswege durch Home­of­fice ste­ht jet­zt die Dig­i­tal­isierung unser­er Pro­duk­tions- und Liefer­ket­ten an.
Und am Ende dieser neuen 20er-Jahre und später: Wie wird sich unsere Bewe­gungskul­tur bis dahin verändern?
Mobil­ität wird hybrid – wir haben immer öfter die Wahl zwis­chen physis­ch­er und dig­i­taler Mobil­ität. Ergeb­nis für unsere Bewe­gungskul­tur: weniger Emis­sio­nen, weniger Unfälle und weniger Stau. Langfristig wer­den wir uns gesün­der, sicher­er und entspan­nter von A nach B bewegen.
Welchen Stel­len­wert räu­men Sie mit Blick auf die Zukun­ft dem Indi­vid­u­alverkehr, sprich dem Auto, noch ein?
Der hohe emo­tionale Stel­len­wert wird sich kaum ändern. Aber wir bewe­gen uns weg vom Besitz hin zur Nutzung. Neue flex­i­ble Nutzungskonzepte wie Shar­ing und Abo­mod­elle wer­den Nor­mal­ität. Elek­tro­mo­bil­ität spielt für die Zukun­ft eine Schlüs­sel­rolle für den Erhalt unser­er Auto-Mobil­ität und für die notwendi­ge Trans­for­ma­tion hin zu ein­er nach­halti­gen Mobil­ität in ein­er nach­halti­gen Kreis­laufwirtschaft. Elek­tro­mo­bil­ität ist Fahrspass pur, prak­tik­a­bel und prak­tisch und Genuss ohne Reue. Und der Elek­tro­mo­tor ist bei gesamthafter Betra­ch­tung von der Her­stel­lung, Anschaf­fung und Betrieb zunehmend die bessere und gün­stigere Alter­na­tive zum Verbrennermotor.
Und wird sich die Verkehrsin­fra­struk­tur grund­sät­zlich verändern?
Aus mein­er Sicht sollte Zugang zu Mobil­ität genau­so wie unser Zugang zu Bil­dung und zu unserem Gesund­heitswe­sen auch fes­ter Bestandteil unser­er staatlichen Grund­ver­sorgung wer­den. Dabei kommt dem öffentlichen Nahverkehr und der Schiene neben neuen Konzepten der Mikro­mo­bil­ität die Schlüs­sel­rolle zu. Mikro­mo­bil­ität, also Kle­in­st­fahrzeuge, wie der Microli­no als mod­erne Inter­pre­ta­tion der leg­endären BMW Iset­ta aus den 50er Jahren, wer­den als Gegen­be­we­gung zum ren­diteträchti­gen Trend zu SUVFahrzeu­gen eine wichtige Rolle spie­len. Wir wer­den in Zukun­ft nicht weniger mobil sein, son­dern anders. Entschei­dend ist die naht­lose Verzah­nung unter­schiedlich­ster Trans­port­mit­tel. Weniger wichtig wird sein, wom­it wir uns bewe­gen, son­dern wie wir uns freud­voll von A nach B bewegen.
Dr. Hans-Peter Kleebinder

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