Nichts hält das Elektroauto auf

04.02.2016 — Wiener Zeitung
Es sind schon andere große und ein­flussre­iche europäis­che Indus­trien gän­zlich unterge­gan­gen: Kohle, Unter­hal­tungse­lek­tron­ik, Com­put­er, Foto, Film. Als Näch­ste wird Europas Autoin­dus­trie samt Zulief­er­ern, der Kette von Dien­stleis­tungs­be­trieben (Werk­stät­ten) und der zuge­höri­gen Min­er­alöl­wirtschaft mit dem nicht mehr aufzuhal­tenden und sehr raschen Über­gang auf Elek­troau­tos auf einen Bruchteil schrumpfen.
Angesichts deren heutiger Bedeu­tung wird das Umwälzun­gen in allen betrof­fe­nen Län­dern her­vor­rufen: Werkss­chließun­gen und Masse­nent­las­sun­gen kön­nen nur abgemildert wer­den, wenn maßgebende Poli­tik­er und Wirtschaft­slenker sich noch rechtzeit­ig der Lage bewusst wer­den und mit Nach­druck die Über­leben­sregel befol­gen, dass man sich an die Spitze ein­er Bewe­gung set­zen muss, die man nicht aufhal­ten kann — kon­se­quent gegen alle Widerstände.
Die eAu­tos aus Chi­na, Korea, Japan und den USA set­zen sich durch, die Europäer kön­nen den Vor­spung nie mehr auf­holen und sind vor allem bei den Schlüs­sel­bauteilen wie den Akkus total abhängig; es wird ihr wie der deutschen Solarindus­trie gehen, man wird in Europa Zölle auf eAu­tos ein­führen müssen.
Über­wälti­gende Vorteile der eAu­tos gegenüber Verbrennern
Die Vorteile von eAu­tos sind in jed­er Beziehung über­wälti­gend, für ihre Hal­ter wie für die Volk­swirtschaften. Aus tech­nis­ch­er Sicht hätte man sie schon vor Jahrzehn­ten haben kön­nen, denn ihre Ein­führung hängt nur von der Ver­füg­barkeit leis­tungs­fähiger Akkus ab; die gab es schon vor 20 Jahren, damit fuhr man 400 Kilo­me­ter weit, aber diese Forschun­gen wur­den wieder gestoppt. Alle anderen wesentlichen Teile wie den Motor gab es teils schon im 19. Jahrhun­dert, wie diverse Schienen­fahrzeuge belegen.
Allein für die Ölin­dus­trie, deren Umsatz zu 60 bis 65 Prozent vom Verkehr abhängt, und die eben­so ein­flussre­iche Autoin­dus­trie sind eAu­tos eine Hor­ror­vorstel­lung. Denn die maßgeben­den Per­so­n­en in der Autoin­dus­trie sind Experten für Verbrennungsmotoren.
Warum über­legen? Ein eAu­to braucht neben Karosserie, Lenkung, Rädern und Innenein­rich­tung nur ein bis vier Elek­tro­mo­toren, eine auswech­sel­bare Elek­tron­ikbau­gruppe zum Betrieb, einen aus­tauschbaren Akku und eine mech­a­nis­che Fest­stell­bremse; dazu eine elek­trische Heizung/Klimaanlage. Eine Wartung ist nicht erforder­lich, die Motoren haben keine Ver­schleißteile und hal­ten länger als die Karosserie, die Elek­tron­ik wird als Bau­gruppe mit einem Griff erset­zt, der Akku ist je nach Tech­nolo­gie und Beanspruchung nach eini­gen Jahren zu tauschen und neben den Reifen das einzige Ver­schleißteil. Alle für einen Ver­bren­nungsmo­tor erforder­lichen teuren Zusatzag­gre­gate und Bauteile fehlen; Getriebe, Kup­plung, Dif­fer­en­tial, hydraulis­che Brem­san­lage, Ver­gas­er, Ein­spritzpumpen, Küh­ler, Aus­puffan­lage, Öl‑, Luft- und Kraft­stoff­fil­ter — die Liste ist ellen­lang und erschreck­end, denn es wird auch die Fab­riken nicht mehr geben, die diese Teile heute her­stellen. Was nicht vorhan­den ist, muss wed­er gewartet noch repari­ert oder gar erset­zt wer­den und ver­schleißt nicht. Die Zuver­läs­sigkeit eines eAu­tos ist allein deswe­gen unver­gle­ich­lich höher als die jedes Ver­bren­ners. Macht man sich dies ein­mal mit aller Deut­lichkeit und ohne Scheuk­lap­pen klar, begreift man, was mit der Wucht ein­er Dampfwalze auf Europas Auto- und Zulieferindus­trie, Dien­stleis­tungs­be­triebe, aber auch ver­ant­wortliche Poli­tik­er und Wirtschaft­slenker zukommt:
1. Der Kauf­preis von eAu­tos wird erhe­blich niedriger sein als bei Ver­bren­nern, vielle­icht die Hälfte oder zwei Drit­tel wegen der Fixkosten. Die heuti­gen Preise beruhen darauf, dass der Akku etwa 40 Prozent der Wertschöp­fung eines eAu­tos aus­macht, und die Akkuher­steller in Ostasien sind natürlich nicht an niedri­gen Preisen und damit bil­li­gen eAu­tos der Konkur­renz inter­essiert. In den USA und Ostasien sind neue, bil­ligere Akkus mit teils zehn­fach­er Kapaz­ität und langer Lebens­dauer in der Entwick­lung. Hier begin­nt, nach 20 Jahren, auch wieder die Arbeit daran. Es dauert halt Jahre von der Entwick­lung bis zur Serie, man denke nur an den Unter­schied zwis­chen den ersten Funk­tele­fo­nen und unseren heuti­gen Smartphones.
2. Neben den Reifen beste­hen die Unter­halt­skosten nur aus den auf die Lau­fleis­tung umgelegten Kosten für den Akkutausch.
3. Die Lebens­dauer von eAu­tos ist min­destens dop­pelt so hoch wie jene von Ver­bren­nern — gut für die Besitzer, schlecht für die jährlichen Absatz­zahlen, die sich geschätzt hal­bieren werden.
4. Der Wirkungs­grad von Elek­tro­mo­toren ist mehr als dop­pelt so hoch wie bei Ver­bren­nungsmo­toren, die Energiekosten betra­gen somit weniger als die Hälfte. Ein eAu­to ver­braucht im Stand, also an der Ampel und im Stau, keine Energie. Und etwa ein Drit­tel der Energie zum Beschle­u­ni­gen wird beim Brem­sen zurückgewonnen.
Auto­be­trieb mit Inlandsstrom verbessert die Zahlungsbilanz
Die reinen wege­ab­hängi­gen Betrieb­skosten (Strom) sind nicht nur erhe­blich niedriger, son­dern die Tat­sache, dass eAu­tos mit im Inland erzeugtem Strom betrieben wer­den, ist von größter volk­swirtschaftlich­er Bedeu­tung, weil die Öle­in­fuhr eben­so ent­fällt wie die Abhängigkeit von aus­ländis­chen Liefer­an­ten und Abzock­en in der Urlaub­szeit. Die Zahlungs­bi­lanz wird entschei­dend verbessert, bei wet­terbe­d­ingtem Stromüberange­bot kann der Strompreis (eventuell auf null) gesenkt wer­den. Deutsch­land hat schon Strom an Nach­bar­län­der nicht nur ver­schenkt, son­dern es gab Zeit­en, da musste man sog­ar draufzahlen, um Strom liefern zu dürfen.
eAu­tos sind ein­fach­er zu fahren, das Automatikgetriebe ist gratis inkludiert. Es gibt wed­er Kalt­start noch Warm­lauf oder einen kochen­den Küh­ler. Ein Elek­tro­mo­tor braucht keine Leer­lauf­drehzahl und entwick­elt schon im Stand das volle Drehmo­ment, Abwür­gen gibt es nicht. Und im Gegen­satz zum Ver­bren­nungsmo­tor kann er kurzzeit­ig hoch über­lastet wer­den und zieht somit beim Beschle­u­ni­gen auch Ver­bren­nern mit sehr viel höher­er Max­i­malleis­tung davon; daher ist jed­er Ver­gle­ich der Leis­tungsangaben grob irreführend. Die riesi­gen Umweltvorteile durch laut­losen und schad­stof­freien Betrieb bedür­fen kein­er Betonung.
Erschreck­end ist die Desin­for­ma­tion bezüglich Preis, Akku, Reich­weite und Ladung; Vorschläge wie Ladesäulen längs der Straßen oder eine Verpflich­tung von Ver­mi­etern, das Laden vor dem Haus zu erlauben, sind wirk­lichkeits­fremd bis absurd und bloß verkappte Gege­nar­gu­mente. Allein sin­nvoll sind Schnell-Ladesäulen neben den Ben­zin- und Diesel-Zapf­säulen an den beste­hen­den Tankstellen, deren Über­leben damit gesichert ist. eAut­o­fahrer wer­den wie bish­er zu ihrer Tankstelle zum Laden fahren, das nicht länger dauern wird als das Tanken bish­er. Auf­grund der hohen Tankstel­len­dichte ist damit auch das Argu­ment vom Tisch, mit einem eAu­to könne man keine weit­en Streck­en fahren.
In der ersten Aus­baustufe wird man dort mit Kabel und Steck­er laden; da eine Nor­mung nicht zu erwarten ist, müssen ver­schiedene Steck­er­sys­teme bedi­ent wer­den. In der zweit­en Aus­baustufe wird kon­tak­t­los über eine im Boden ein­ge­lassene Spule geladen, man bleibt im Auto sitzen, zahlt via Handy und fährt weiter.
Mil­liar­den den Tankstellen geben, nicht den Autofirmen
In weni­gen Jahren wer­den eAu­tos sehr viel bil­liger sein, mit ein­er Reich­weite um die 500 Kilo­me­ter. Zwar genü­gen die heuti­gen 100 bis 200 Kilo­me­ter für die meis­ten täglichen Fahrten, doch ist ein täglich­es Nach­laden lästig. Die Reich­weite ein­er Ladung wird also ein­er Tank­fül­lung entsprechen, und man wird eben­so sel­ten zur Tankstelle fahren.
Sobald ein­mal die Vorteile von eAu­tos offen und aus­führlich dargestellt wer­den dür­fen, wird der Verkauf ein Selb­stläufer. Eine Dreingabe vom Staat in Höhe mehrerer tausend Euro wäre völ­lig falsch, die dafür erforder­lichen Mil­liar­den sollte man nicht den Aut­ofir­men, son­dern den Tankstellen zukom­men lassen, denn die Voraus­set­zung für die Ver­bre­itung ist die flächen­deck­ende Lade­struk­tur. Hier muss der Staat ein­greifen, auch per Gesetz, und eventuellen Wider­stand der Ölkonz­erne brechen, die sich vielle­icht weigern, an ihren Tankstellen den Tod­feind zu bedi­enen. Tes­la baut bere­its eigene Schnell-Ladesta­tio­nen und ver­schenkt den Strom. Es wäre absurd, wenn dies so weit­ergin­ge und jede eAut­ofir­ma ihr eigenes Ladenetz auf­baute. In spätestens zehn Jahren wird man sich mit Schaud­ern daran erin­nern, dass man sich früher mit Abgasen vergiftet, eine Lärmhölle ertra­gen und so viel teures Öl importiert hat.
Autor: Artur Seibt
Entwick­lungsleit­er in der Elek­tron­ikin­dus­trie und ist Kon­sulent in Wien
www.wienerzeitung.at

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