Habemus Leidmarkt

Als überzeugter Opti­mist mit einem starken Hang zum Real­is­mus gebe ich zu, dass ich immer wieder zur Schön­fär­berei neige und mir eher ungün­stige Sachver­halte beizeit­en zurecht­biege und dabei nicht aufgebe, das Gute auch in solchen Sit­u­a­tio­nen zu suchen. Das Find­en stellt sich dabei immer häu­figer ein und im Ergeb­nis ein­er solchen Ein­stel­lung prof­i­tieren Reak­tanz, dynamis­ch­er Prag­ma­tismus und ein ins­ge­samt pos­i­tiv­er Problemlösungsansatz.
Maßlose Selb­stüber­schätzung, rhetorische Lügenkon­struk­te, Luftschlöss­er und die per­ma­nente Kom­mu­nika­tion von Wun­schvorstel­lun­gen im Per­fekt oder Plusquam­per­fekt gehören dabei nicht zu meinem Arsenal.
Damit meine ich im Gegen­teil zur Futur-Kom­mu­nika­tion von Maß­nah­men und Zustän­den, die wir wollen, haben wer­den und in Kürze umset­zen wer­den, das zur Schau gestellte Selb­stver­ständ­nis man wäre in der Entwick­lung der Elek­tro­mo­bil­ität schon ganz vorne mit dabei und hätte alles im Griff.
Im Archiv des Bun­destages gibt es einen Rede­beitrag unseres Par­la­men­tarischen Beiratsvor­sitzen­den Her­rn Tiefensee, Bun­desverkehrsmin­is­ter a.D., zum The­ma Elek­tro­mo­bil­ität, der kaum an Aktu­al­ität ver­loren hat. Allerd­ings ist der Beitrag ja auch erst knapp drei Jahre alt. Und es ist viel passiert..
Wir haben es mit inten­siv­en gemein­samen Anstren­gun­gen geschafft, den Elek­tro­fahrzeugbe­stand in Deutsch­land auf immer­hin fast 8.000 Fahrzeuge zu erweit­ern. Das sind rühm­liche 0,0172 % — gemessen am Gesamt­fahrzeugbe­stand in Deutsch­land. Und in der Tat, damit sind wir regierungs­seit­ig auf dem besten Weg Leit­markt, Lei­tan­bi­eter, Erst­markt oder was auch immer zu wer­den. Der ständi­ge Ein­satz der Zeit­form Futur I und II ver­hin­dert dabei übri­gens erfol­gre­ich jegliche Frus­tra­tion, die anson­sten in deren eigen­em Han­deln und Wirken leicht auf­fall­en würde. Dieses wollen und wer­den ist weit davon ent­fer­nt, tat­säch­lich einzutr­e­f­fen und bei seinen Anhängern lei­der unge­fähr genau­so weit verbreitet.
Wir ver­gle­ichen die eMo­bil­ität gern mit einem Marathon­lauf. Nach inten­siv­en Vor­bere­itun­gen, Testläufen und Train­ingsstun­den rückt der Start­ter­min immer näher. Dann geht‘s los. Wir sind im übri­gen bere­its zum Ende des 19. Jahrhun­derts ges­tartet. Nach den großen Etap­pen­ver­lus­ten in den 20er und 70er Jahren ste­hen wir aber nun wieder im Vor­bere­itungszelt und schauen den Chi­ne­sen, Japan­ern, Kore­an­ern und Amerikan­ern beim Start zu. Im Kino läuft der­weil ein alter Hut: Die Renais­sance der Elek­tro­mo­bil­ität.
Aber was soll‘s, am Ende sind wir doch alle Gewin­ner. Haupt­sache wir kom­men irgend­wann im Ziel an.
Die dick­en Spon­sor­ingverträge lan­den aber meist nur bei den Ersten. Beste­ht da etwa am Ende eine Verbindung zu Wertschöp­fung und Wohl­stand..? Wir müssen also schneller laufen und das Feld vorne aufmis­chen. Na, sehen Sie sich jet­zt auch bild­haft mit elek­tro­mo­bilem Gewin­ner­grin­sen leicht­füßig am schwächel­nden Mit­telfeld vor­beiziehen, die Ziel­marke 2020 schon in Sichtweite..? Lei­der habe ich eine ent­täuschende Nachricht: Sie haben vergessen loszu­laufen. Warum ste­hen Sie da immer noch rum und schle­ichen von einem Kongress zum nächsten..?
Kon­ti­nu­ität find­et sich in der Fre­quenz einzel­ner Schritte. Dieses Konzept entwick­elt sich über ineinan­der­greifende Maß­nah­men­pakete zur gewün­scht­en Eigen­dy­namik und damit, basierend auf unser­er tech­nol­o­gis­chen Kom­pe­tenz, über einen Erst­markt zum Leit­markt. Zum Lei­tan­bi­eter. Zum Welt­meis­ter. Wir kön­nen das doch. Wir müssen nur wollen. Und zwar ins­beson­dere politisch.
In viel zu vie­len Gesprächen erk­lären mir die Experten ver­meintlich­er Befür­worter von Elek­tro­mo­bil­ität, Nach­haltigkeit und Erneuer­bar­er Energien immer wieder, warum es ist, wie es ist. Rhetorisch ein­wand­frei und auf sehr hohem Niveau schle­ichen sich allerd­ings abwech­sel­nd Fehlannah­men, Wider­sprüche, Aus­flüchte und Behelf­sar­gu­men­ta­tio­nen in die kom­plex­en Sachver­halte ein und ver­wässern die Gesam­taus­sage auf ein zunehmend unerträglich­es Niveau. Da wird die nach­haltige Aus­rich­tung und die gute Idee miss­braucht und instru­men­tal­isiert, um nach einem ein­lul­lend befür­wor­tenden Plä­doy­er endlich auf den Punkt zu kom­men. Dann wird die Katze aus dem Sack gelassen und die gute Tat in eine ferne Zukun­ft pro­jek­tiert. Wir wollen zwar, aber..
Mein­er Prag­matik mag es geschuldet sein, dass ich mich auf diese argu­men­ta­tiv­en Irrlichter nicht mehr ein­lassen möchte. Ich werde mich auch in Zukun­ft nicht von Frack­ing oder CC S überzeu­gen lassen und werde mich auch weit­er­hin mit Nach­druck für Erneuer­bare Energien, emis­sion­sarme Antrieb­sarten und eine nach­haltige Kli­ma- und Umwelt­poli­tik ein­set­zen. Das wird auch eine tak­tile Pseu­do-Strompreis­bremse kaum ver­hin­dern. Im Gegenteil.
Kon­struk­tive Gespräche, die lösung­sori­en­tiert in eine bessere Zukun­ft schauen, sind natür­lich jed­erzeit willkom­men. Wir soll­ten uns ins­ge­samt nicht weit­er mit Pro­tek­tion­is­ten beschäfti­gen, son­dern mit Gle­ich­gesin­nten — und gemein­sam mit unseren inno­v­a­tiv­en BEM-Mit­gliedern einen Sys­temwech­sel hin zu ein­er Neuen Mobil­ität durch­set­zen.
Edi­to­r­i­al von Chris­t­ian Heep, Vor­stand Mar­ket­ing im Bun­desver­band eMo­bil­ität und Chefredak­teur der NEUEN MOBILITÄT / Aus­gabe 11 / April 2013

Nach oben