Artikel: Beweislast umkehren!

Artikel aus dem Behör­den Spiegel Juni 2016
»Beweis­last umkehren!«
Kurt Sigl: Vielerorts Möglichkeit­en der eMo­bil­ität noch gar nicht bekannt.
(BS) Das Bun­desk­abi­nett hat Mitte Mai die Kauf­prämie für Elek­tro-und Hybrid-Elek­tro-Autos auf den Weg gebracht. Das soll den »Mark­thochlauf« beschle­u­ni­gen, denn aktuell fahren nur rund 50.000 dieser Mod­elle auf Deutsch­lands Straßen. Gle­ichzeit­ig wach­sen Markt und Absatz für eFahrzeuge wie Ped­elecs und eScoot­er ras­ant an und die Impulse für leis­tungsstarke Tech­nik für die Mobil­ität der Zukun­ft scheinen aus Übersee zu kom­men. Im Gespräch mit dem Behör­den Spiegel über diese sich abze­ich­nen­den Entwick­lun­gen und Gestal­tungsmöglichkeit­en für Kom­munen warnt der Präsi­dent des Bun­desver­bands eMo­bil­ität (BEM), Kurt Sigl, davor, in der Mobil­itätswende den Anschluss zu ver­passen. Die Fra­gen stellte Julian Einhaus.
Behör­den Spiegel: Sind Sie als Bun­desver­band zufrieden mit der neuen Bun­des­förderung für eAutos?
Sigl: Wir sind mit dem Förder­pro­gramm rel­a­tiv zufrieden. Neben den rein finanziellen Kauf­prämien müssen nun allerd­ings auch die flankieren­den Maß­nah­men umge­set­zt wer­den: Dazu gehört der Aus­bau der Lade­in­fra­struk­tur, für den 300 Mio. Euro zur Ver­fü­gung ste­hen, genau­so wie die steuer­liche Ent­las­tung für Arbeit­ge­ber, die den Lade­strom für ihre Mitar­beit­er nicht mehr als geld­w­erten Vorteil ausweisen müssen. Das gilt auch für kom­mu­nale Arbeitgeber.
Behör­den Spiegel: Prof­i­tiert denn auch der kom­mu­nale Fuhrpark von der Förderung? Was tun Sie als Ver­band, um Kom­munen stärk­er mit Elek­tro­mo­bil­ität in Kon­takt zu bringen?
Sigl: Es sind nun ein­deutig mehr Anträge zu verze­ich­nen, auch aus dem kom­mu­nalen Bere­ich. Der Beratungs­be­darf vor Ort ist sehr hoch, denn man kann die indi­vidu­elle Sit­u­a­tion einzel­ner Städte und Gemein­den nicht mit anderen über einen Kamm scheren. Jede Kom­mune hat ihr eigenes Bild, eigene Bedürfnisse und Voraus­set­zun­gen — das muss erst ein­mal analysiert wer­den. Danach kön­nen sin­nvolle Maß­nah­men ein­geleit­et und gle­icher­maßen Dinge ver­hin­dert wer­den, die kein Men­sch braucht. Wir haben uns hierzu im Deutschen Städtetag
einge­bracht und darauf hingewiesen, dass wir mit unseren Mit­glied­sun­ternehmen bere­it­ste­hen, um zu unterstützen.
Behör­den Spiegel: Viele Behör­den zögern beim Kauf, weil sie die weit­er­hin höheren Anfangsin­vesti­tio­nen für eAu­tos scheuen. Vielerorts sind die Haushalte klamm.
Sigl: Deshalb muss die Beweis­last im öffentlichen Beschaf­fung­sprozess umgekehrt wer­den: Kauft eine Behörde ein Fahrzeug, sollte sie kün­ftig bei einem kon­ven­tionellen Mod­ell dar­legen müssen, dass es langfristig ökonomis­ch­er ist als ein ver­gle­ich­bares Elek­tro-Fahrzeug. Betra­chtet man den gesamten Leben­szyk­lus samt jahre­lan­gen Betrieb­skosten, liegen viele Elek­tro-Autos schon nach heutiger Entwick­lungsstufe vor Fahrzeu­gen mit Ver­bren­nungsmo­toren — von der Umwelt­bi­lanz ganz zu schweigen!
Behör­den Spiegel: Städte, Gemein­den und Land­kreise müssen auch eine ganze Rei­he an Spezial­fahrzeu­gen beschaf­fen, um ihre Auf­gaben der Daseinsvor­sorge wahrzunehmen. Inwieweit wer­den hier bere­its eFahrzeuge gekauft?
Sigl: Vielerorts ist noch gar nicht bekan­nt, was der Markt schon an Möglichkeit­en gibt. Ger­ade in diesem Bere­ich kön­nen sich Kom­munen an unseren Ver­band wen­den: Wir wis­sen, welche eFahrzeuge für Fried­höfe geeignet sind oder wom­it die let­zte Meile bewältigt wer­den kann. Die meis­ten sind allerd­ings kleine Spezial­her­steller, nicht die Großen der deutschen Automobilbranche.
Behör­den Spiegel: Aktuell set­zen Sie sich dafür ein, dass für Elek­tro-Roller (eScoot­er) die Höch­st­geschwindigkeit von 45 auf 55 km/h erhöht wird. Welche Rolle messen Sie diesen Fahrzeu­gen bei und warum ger­ade hier Aus­nah­men machen?
Sigl: Elek­tro-Roller haben das Poten­zial, ger­ade den urba­nen Raum in Großstädten zu ent­las­ten. Darin sind wir uns mit dem Bun­desverkehrsmin­is­teri­um einig: Die Fahrzeuge bieten viel Flex­i­bil­ität, emit­tieren keine Schad­stoffe, sind leise und nehmen im öffentlichen Raum weniger Platz weg als Autos. Innerorts wie für Pendler aus dem Umland eine echte Alter­na­tive! Die Ober­gren­ze von 45 km/h stört uns nicht, weil wir unbe­d­ingt auf Schnel­ligkeit set­zen. Uns geht es um die Sicher­heit! Wir haben meist 50 km/h‑Zonen in den Städten und wis­sen auch, das viele Fahrer schneller unter­wegs sind. Deshalb müssen eScoot­er in der Lage sein, im Verkehr mitzu­fließen. Durch eine Höch­st­geschwindigkeit von 55 km/h würde das Risiko für alle Beteiligten sinken, deshalb haben wir eine entsprechende Ini­tia­tive ins Leben gerufen.
Behör­den Spiegel: Kön­nen diese eScoot­er genau­so geladen wer­den wie eAutos?
Sigl: Es geht viel sim­pler: Für die Lade­vorgänge kön­nen ganz nor­male Haushaltssteck­dosen genutzt wer­den. Mit­tler­weile kann man bei allen Rollern die Bat­terie ein­fach mit­nehmen und zu Hause oder am Arbeit­splatz aufladen. Stromkosten und Ver­brauch liegen bei etwa 90 Cent pro 100 Kilo­me­ter — das sind unschlag­bare Werte, vor allem, wenn der Ölpreis wieder stärk­er ansteigen sollte. Viele Roller bieten heute die Kapaz­ität für zwei Akkus. Damit ver­dop­pelt sich die Reich­weite von ca. 50 auf 100 Kilometer.
Behör­den Spiegel: Der Markt für Akkus hat sich in der Ver­gan­gen­heit sehr pos­i­tiv entwick­elt. Welche weit­eren Fortschritte erwarten Sie?
Sigl: Der Kilo­watt-Preis lag vor vier, fünf Jahren noch bei 800 bis 1.200 Euro. Inzwis­chen liegen die Einkauf­spreise bei ca. 200 bis 300 Euro und in den USA kaufen die großen eFahrzeugher­steller schon zwis­chen 120 bis 150 Euro ein. Wir gehen davon aus, dass bald die 100-Euro-Marke gek­nackt wird. Die Preise sind also im beschriebe­nen Zeitraum auf ein Vier­tel oder sog­ar ein Fün­f­tel geschrumpft. Zudem hat sich die Leis­tungs­dichte in den let­zten fünf Jahren um 30 Prozent verbessert bzw. das Gewicht der Akkus um ein Drit­tel reduziert.
Behör­den Spiegel: Diese Entwick­lun­gen machen sich vor allem neue Unternehmen in den USA zunutze, die für sich in Anspruch nehmen, den Auto­mo­bil­markt zu rev­o­lu­tion­ieren. Dabei geht es nicht nur um den elek­trischen Antrieb, diese »Start-ups« denken autonomes Fahren oft gle­ich mit. Was muss am Stan­dort Deutsch­land passieren, um diesen Entwick­lun­gen entgegenzutreten?
Sigl: Die Dimen­sion »langfristig« kön­nen Sie schon mal stre­ichen: Es muss extrem kurz- und mit­tel­fristig etwas passieren! Wir müssen hierzu­lande erken­nen, dass der Diesel ein Aus­lauf­mod­ell ist, von dem man sich wirk­lich rasch ver­ab­schieden muss. Der Antrieb hat schon jet­zt genug angerichtet. Neu aufgekommene Auto­her­steller wie Tes­la und Fara­day Future in Kali­fornien oder BYD im chi­ne­sis­chem Shen­zhen haben die Zeichen der Zeit erkan­nt und »fahren« eine andere Denke — mit emis­sions­freiem Antrieb. Etwas anderes wird in Zukun­ft nicht mehr zählen. Auch das (teil-)autonome Fahren hat längst begonnen.
Behör­den Spiegel: Wo sehen Sie in der Bun­desre­pub­lik Behör­den, die den richti­gen Weg ein­schla­gen, um der Mobil­itätswende die Bah­nen zu bereiten?
Sigl: Mir fällt nur ein einziges Beispiel ein, auf kom­mu­naler Ebene: Stuttgart. In der Lan­deshaupt­stadt hat man das Glück, sowohl einen grü­nen Ober­bürg­er­meis­ter als auch eine grün dominierte Lan­desregierung zu haben. Mit Win­fried Her­mann bleibt in der neuen Regierungskon­stel­la­tion nun ein sehr agiler Verkehrsmin­is­ter im Amt, der sich mit der Mobil­itätswende beschäftigt. In Stuttgart ist auf­grund der Fein­staubbe­las­tung auch der nötige Druck im Sys­tem, sodass es abse­hbar mas­sive »Umen­twick­lun­gen« geben wird. Andere deutsche Großstädte ste­hen eben­falls vor gerichtlichen Voll­streck­ungs­maß­nah­men wegen zu hoher Stick­ox­id-Emis­sio­nen. Jährlich ster­ben Tausende Men­schen daran — wir haben ein­fach keine Zeit mehr zu ver­lieren: Wer jet­zt nicht anpackt oder zumin­d­est die Weichen nicht richtig stellt, der hat in viel­er­lei Hin­sicht verloren.
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